Mini „Remastered“: Back to the Swinging Sixties
Wer hat an der Uhr gedreht? Keine Zeitmaschine ist so knuffig und kaum eine so schnell wie dieser Mini „Remastered“. Denn zusammen mit dem Tuner Oselli hat David Brown einen radikalen Restomod auf die Räder gestellt, der die Epochen gehörig durcheinanderwirbelt. Doch das Vergnügen hat seinen Preis.
SP-X/London. Bentley sind hier so gewöhnlich wie bei uns ein BMW, wenn er nicht mindestens pink ist oder giftgrün, dreht sich selbst nach einem Rolls-Royce Cullinan keiner mehr um, und über Lamborghini oder Ferrari rümpfen die Anwohner nur die Nase – automobile Aufschneider haben im Speckgürtel um den feinen Londoner Regent’s Park normalerweise nichts zu lachen. Doch diesmal schlagen die Herzen höher, die Daumen recken sich und die Mundwinkel weisen steil nach oben. Denn was da – nun ja, ein bisschen schneller als die Polizei erlaubt – mit gewaltigem Getöse durchs Blickfeld wischt, ist viel mehr als ein Auto.
Zeitmaschine auf Rädern
Der augenscheinlich uralte und trotzdem fabrikneue Mini ist eine Art Zeitmaschine auf Rädern und zugleich ein Jungbrunnen, der in beide Richtungen funktioniert. Die Passanten fühlen sich wieder frisch und fit wie damals in den Sixties, als London voll war von einem neuen Swing, der eine ganze Generation mitreißen sollte. Und der Fahrer fühlt sich plötzlich noch viel älter als er ohnehin schon ist, wenn er wie eine WC-Ente im engen Schalensitz vor dem fast waagerechten Lenkrad kauert und den Kopf bis zur Belastungsgrenze der Halswirbelsäule querlegen muss, damit er doch irgendwie unters Dach passt – und hat trotzdem endlich wieder Spaß am Autofahren wie damals als Teenager heimlich auf dem Feldweg hinterm Elternhaus.
David Brown: Erfolgreichen Restomodder
Dieser Mini, der so viel mehr ist als nur ein Auto, kommt aus einem Showroom vorn an der Ecke des Parks. Dort hat David Brown seinen Flagship-Store. Früher hat der Brite Muldenkipper gebaut und bis zu 3.500 Mitarbeiter gehabt. Doch irgendwann kurz vor der Rente, nach der Scheidung und offenbar mitten in der Midlife-Crisis hat ihn ein alter Traum gepackt. Er hat die Firma David Brown Automotive gegründet und vor knapp zehn Jahren mit einer ziemlich retrospektiven Neuinterpretation des Aston Martin DB5 von sich Reden gemacht. Weil der aber mit damals schon umgerechnet 750.000 Euro zu teuer war fürs große Geschäft, hat er sich nebenbei noch auf die Restaurierung und Modernisierung der kleinsten und klassischsten aller britischen Klassiker verlegt und ist damit zu einem erfolgreichen Restomodder aufgestiegen. So, wie sein nach Kalifornien ausgewanderter Landsman Rob Dickenson es mit Singer zum Porsche-Papst gebracht hat, gilt Dan Brown mittlerweile als Maßstab in der Mini-Szene – zumindest, wenn man es mit der Chronologie nicht allzu genau nimmt.
Dezent, aber wirkungsvoll modernisiert
Und das tun offenbar immer weniger: Egal ob in England oder auf dem europäischen Festland, in Japan, den USA oder gar in Hongkong registriert David Brown große Nachfrage. Deshalb bringt sein Team bei rund 100 Autos im Jahr die Biografie ein bisschen durcheinander: Die Minis werden über Wochen in Handarbeit komplett zerlegt, aufgearbeitet und restauriert, neu lackiert und besser poliert, als sie es im Werk in Oxford je hinbekommen haben. Und vor allem werden sie dezent, aber wirkungsvoll modernisiert – von den elektrischen Fensterhebern über Klimaanlage und Navigationssystem bis hin zu den LED-Scheinwerfern. Und ein paar vernünftige Bremsen können ja nie schaden. Erst recht nicht, wenn man auch an der Motorleistung schraubt.
Spenderfahrzeug ist im Preis schon inbegriffen
Die Preise beginnen bei 75.000 Pfund (umgerechnet rund CHF 92.000) vor Steuern sagt Browns-Marketingchefin Michelle Gay und gibt sich dabei durchaus generös. Denn das Spenderfahrzeug ist im Preis schon inbegriffen. „Schließlich gibt es davon hier in England noch mehr als genug.“ Wer aber partout seinen eigenen Mini einbringen möchte, dem steht das natürlich frei, sagt Gay. Allerdings dann wohl eher aus sentimentalen Gründen als aus Sparsamkeit. Denn mehr als 2.000 Pfund ziehen sie bei David Brown dafür nicht von der Rechnung ab.
Auf 60 Exemplare limitiert
Weil Brown aber weiß, dass selbst der womöglich am liebevollsten restaurierte Mini allein nicht auf Dauer zieht, spielt er geschickt das Spiel mit limitierten Editionen und hat sich für sein neuestes Projekt mit dem Mini-Tuner Oselli zusammengetan. Der klingt italienisch, ist aber durch und durch britisch und hat seine Werkstätten praktischerweise nahe an David Browns Stammsitz draußen bei der Formel1-Strecke von Silverstone. Deshalb war es auch buchstäblich nur ein kleiner Schritt bis zur Oselli Edition, die pünktlich zum 60. Geburtstag des Classic Mini angekündigt wurde und auf ebenso viele Exemplare beschränkt ist.
Dank Doppelvergaser 126 PS Leistung
Und eines davon schwirrt jetzt auf der Ringstraße um den Regent’s Park wie die Bienen um die prallen Blüten drinnen im Grünen. Angetrieben vom gleichen Vierzylinder, der schon dem Original Beine gemacht hat. Nur dass jetzt 1.450 statt 1.275 Kubikzentimeter im Fahrzeugschein stehen und die Leistung mit Hilfe eines Doppelvergasers von 72 auf 126 PS steigt. Das macht ihn zwar zu dem mit weitem Abstand stärksten Modell der remasterten Mini-Familie, klingt aber trotzdem nicht nach wirklich viel. Bis man sich das magere Gewicht von weit unter 1.000 Kilo in Erinnerung ruft, den ersten Gang reinknüppelt, das winzige Pedal aufs Bodenblech heftet und die Kupplung zuschnappen lässt.
Eine Spaßgranate
Dann nämlich wird der Mini zur Spaßgranate und lässt einen im Stadtverkehr von London mitleidig aufblicken zu all den Angebern in ihren italienischen Flachmännern, die plötzlich so endlos weit vom Asphalt aufragen. Mag schon sein, dass Dein Huracan oder Dein Tributo weniger als die 7,8 Sekunden auf Tempo 100 braucht. Und wahrscheinlich hat schon der Motor Eurer Fensterheber mehr Drehmoment als dieser Mini. Aber dafür bietet der Winzling das authentischere Erlebnis und vor allem den größeren Spaß.
Zeigen was eine Harke ist
Und spätestens in den engen Kehren der Stadt zeigt euch die schwarz lackierte Flipperkugel ohnehin, was eine Harke ist. Kurbelt ihr mal schön an eurer progressiven Servolenkung und hebt brav den karbongebackenen Bugspoiler über den Bordstein – bis die PS-Elite ihre Kehrtwende geschafft hat, ist der Mini längst auf und davon. Genau so muss sich Jerry Maus im Kampf mit Kater Tom fühlen, wenn sie kurz vor dem letalen Tatzenschlag einen glücklichen Haken schlägt oder doch noch ein Schlupfloch erwischt. Und wie jedem Underdog gehören dem Mini dabei alle Sympathien. Selbst Mütter mit Kinderwagen vor dem Bug freuen sich augenscheinlich am kehligen Grollen der neuen Sportabgasanlage – auch wenn es wahrlich bessere Wiegenlieder geben dürfte.
Und das ist nur die eine Seite der Mini-Medaille. Die andere strahlt draußen vor den Toren der Stadt. Wenn der Verkehr lichter wird und mit ihm die Dichte der Radarfallen, dann taugt der Mini mit dem von Bilstein stabilisierten Geläuf und den extrabreiten Pellen auf den winzigen 13-Zöllern zur fiesen Asphaltfräse, die mit diebischer Freude durch die Kurven rasiert, bis die Reifen wimmern und der Beifahrer die Gesichtsfarbe verliert. Spätestens dann wird auch klar, was die Schalensitze mit den Hosenträgergurten sollen und die Option auf den Überrollbügel. Und jetzt bloß keine Witze über die magere Höchstgeschwindigkeit, bitte! Denn 160 km/h in einem Elefantenrollschuh wie diesem fühlen sich schneller an als Vollgas in jedem Ferrari.
Platz in der kleinsten Lücke
Einmal noch knattert der Mini im Kreis um den Regent’s Park und sonnt sich in der fast kindlichen Freude, die dem Kleinwagen allerorten entgegenschlägt, bevor dem Fahrer die Enge im Auto dann doch zu beklemmend wird und der Kampf mit der Vernunft und dem Tempolimit zu anstrengend. Und mal eben die Beine ausstrecken, kann schließlich auch nicht schaden. Also raus aus der Ringstraße und rein in das quirlige Einkaufsviertel, wo die Locals bummeln und die ersten Sonnenstrahlen des nahen Frühlings zum Brunch im Freien nutzen. Dass es hier voll ist, macht dem Mini nichts. Denn auch das ist ein Vorteil, den er gegenüber den anderen Aufschneider-Autos bietet: Platz ist für ihn in der kleinsten Lücke.
…für 180 Pfund
Schade nur, dass offenbar nicht jeder die Liebe der Londoner zum Mini teilt. Erst recht nicht, wenn er bei der Parkraumüberwachung arbeitet. Denn als währen 25 Pfund für zwei Kaffee, einen Orangensaft und ein Croissant nicht schon eine stolze Summe, wird die Frühstückspause so mal eben 180 Pfund teurer. Aber mit überzogenen Preisen kann man die Fahrer eines David Brown Remastered nicht schocken. Denn während es einen Classic Mini im guten Zustand bei uns schon für rund CHF 25.000 und auf der Insel für noch viel weniger gibt, verlangt Brown für den Mini Osselli sogar 98.000 Pfund (umgerechnet ca. CHF 120.000). Viel Geld für einen Mini, aber ein Schnäppchen für eine Zeitreise. Und dafür, dass man selbst in London ein Lächeln erntet. Zumindest bei allen, außer der Parkraumüberwachung.