Fahrbericht: Livewire S2-Modelle
Lesezeit 5 Min. Die Harley-Davidson-Tochter Livewire erweitert ihre Palette an Elektromotorrädern. Zwei neue Varianten des S2-Modells sollen den Absatz beflügeln.
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SP-X/Berlin. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass die Berliner unserer kleinen Testflotte von E-Motorrädern echte Aufmerksamkeit gezollt hätten. Es war ihnen herzlich egal, dass wir mit acht E-Motorrädern an einem kühlen Märztag lokal emissionsfrei und auch ausgesprochen lärmarm vom östlichen Stadtbezirk Lichterfelde nach Berlin-Mitte ins Regierungsviertel geschnurrt sind und uns auch wieder zurückgekämpft haben.

Elektromarken haben es schwer
Mit klarem Blick taxiert, haben sich die Berliner also ungefähr genauso verhalten, wie Motorradkäufer: die würdigen bisher die E-Flitzer generell kaum eines Blicks, weshalb Marken wie der Elektropionier Zero, aber auch Livewire sich enorm schwertun, auf Touren zu kommen. Gerade mal 612 Fahrzeuge haben die Amis letztes Jahr absetzen können – weltweit.

Harleys Elektro-Tochter Livewire
Das soll, trotz Preisen um 19.000 Euro, künftig anders werden, sagte man sich in Milwaukee, wo auch die unter Strom stehende Harley-Tochter Livewire ihren Sitz hat. Zu diesem Zweck entwickelte man zusätzlich Modell S2 Del Mar zwei weitere S2-Versionen. Die sind antriebsseitig selbstverständlich identisch, unterscheiden sich aber im Lenkkopfwinkel und damit in der Konzeption wie auch in den Radgrößen und der Sitzposition.

Von sportlich bis Cruiser
Die S2 Alpinista übernimmt dabei mit 17 Zoll-Rädern vorne und hinten und steiler stehender Gabel den spontan-sportlichen Part, die S2 Mulholland orientiert sich mit ihrem 19 Zoll großen Vorderrad und dem 17-Zöller hinten sowie mit ihrer erhöht montierten Lenkstange am Cruisersegment. Bequem genug für kürzere Strecken, das sei vorausgeschickt, erscheinen alle drei, wobei die Alpinista mit ihrem schmaleren Lenker im Vergleich vielleicht ein Quäntchen zurückliegt.

Spurt auf 100 km/h in drei Sekunden
Angetrieben werden alle drei von einem 63 kW/86 PS starken E-Motor, der das fast schon sagenhaft hohe Drehmoment von 263 Newtonmetern stemmt. Kein Wunder, dass der Spurt auf 100 km/h in drei Sekunden machbar ist, zumal die Bikes unter 200 Kilogramm wiegen. Hohe Tempi sind aber nicht Sinn und Zweck des Livewire-Trios, denn als vorrangiges Einsatzgebiet gilt der urbane Bereich. Hier kommt es auf Handlichkeit und leichte Manövrierbarkeit an; große Reichweiten stehen nicht im Vordergrund.

200 Kilometer Reichweite im Stadtbetrieb
Das ist auch gut so, denn der nominal 10,5 kW-Akku liefert nach dem europäischen WMTC-Messverfahren im kombinierten Einsatz Energie für 111 (Del Mar) bis 122 Kilometer (Alpinista und Mulholland); das Wiederaufladen erfolgt wahlweise über Nacht an der Haushaltssteckdose oder in zweieinhalb Stunden bei Level-2-Ladestationen. Für den Stadtbetrieb werden knapp 200 Kilometer Reichweite genannt, was sicherlich ausreichend ist, während um die 120 Kilometer über Land knapp bis frustrierend erscheinen. Besitzer des Führerscheins A2 werden vom Kauf einer Livewire S2 keineswegs ausgeschlossen: Weil die Dauerleistung des Motors lediglich 30 kW/41 PS erreicht, dürfen sie dennoch die nicht permanent verfügbare volle Leistung genießen.

Elektronikausstattung
Die Elektronikausstattung der drei S2-Versionen ist üppig: Es gibt jeweils vier vorkonfigurierte Fahrmodi, die sich in der Spontaneität der Gasgriff-Regelung und in der Leistungsmenge unterscheiden, zudem stehen zwei individuell konfigurierbare Modi zur Wahl. Außerdem sind die drei Fahrzeuge mit einer Sechsachsen-Messeinheit ausgerüstet, wodurch das ABS, die Traktionskontrolle und die Motorschleppmomentregelung schräglagenoptimiert werden.

Die Fahrwerkskomponenten
Auch die Fahrwerkskomponenten der drei Livewire-Geschwister sind keine Billiglösungen: Die Showa-Gabeln sind als voll einstellbare Cartridge-Systeme ausgelegt, die Federbeine – die Mulholland muss hinten mit 10 Zentimetern Federweg auskommen, die anderen beiden Versionen bieten kommodere 12 Zentimeter – lassen sich in Vorspannung und Zugstufe einstellen. Vorne wie hinten agiert eine gelochte Scheibenbremse; das von Brembo stammende System überzeugt durch gute Wirkung wie auch ordentliche Dosierbarkeit. Überflüssig zu sagen, dass auch die Livewire S2-Modelle über den bei Harley üblichen Riemenantrieb des Hinterrades verfügen.

Die optische Erscheinung
Die Betrachtung der drei E-Motorräder wäre aber unvollständig, würde man ihre optische Erscheinung nicht würdigen. Alle drei sind echte Typen, nämlich unverwechselbar. Sehr gelungen erscheint insbesondere die Gestaltung der verrippten Akku-Körper; die teils gefrästen Rippen sind ein sehr vorteilhaft eingesetztes Designmerkmal, das durch die schräg stehenden, leicht außermittig rechts montierten Zentralfederbeine ergänzt wird.

Multifunktionales TFT-Display
Zusammen mit den runden Zentralinstrumenten, die als multifunktionales TFT-Display ausgelegt sind, ergibt sich ein wertiges Erscheinungsbild. Freilich ist im praktischen Betrieb nicht alles vorteilhaft, was cool aussieht: Das Sichtfeld in den Lenkerendenspiegeln der Alpinista und der Mulholland wird häufig von den Fahrer-Unterarmen verdeckt, was im Stadtverkehr gefährlich sein kann. Die konventionellen Rundspiegel der Del Mar-Version sind vom Sichtfeld her um Längen besser.
Livewire S2 Alpinista (A), S2 Del Mar (D) und S2 Mulholland (M) – Technische Daten:
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Permanent-Magnetmotor, 63 kW/86 PS (Dauerleistung 30 kW/41 PS), max. Drehmoment 263 Nm; kein Getriebe, keine Kupplung; Riemen-Endantrieb
Batterie: Lithium-Ionen-Akku, Nennkapazität 10,5 kWh, Rekuperation im Schiebebetrieb. Ladedauer von 0 auf 100 Prozent an der Haushalts-Steckdose 8,5 Stunden, an der Wallbox knapp 2,5 Stunden
Fahrwerk: Leichtmetall-Gussrahmen; vorne USD-Telegabel ø 43 mm, voll einstellbar, Federweg 12 cm (A u. D), 13,5 cm (M); hinten Leichtmetall-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Vorspannung und Zugstufe einstellbar, Federweg 12 cm (A u.D) bzw. 10 cm (M); Aluminiumguss-Räder, schlauchlose Reifen; 120/70 ZR 17 (v.) und 180/55 ZR 17 (h., A), 130/80-19 (v.) und 140/80-19 (h., D), 120/70 ZR 19 (v.) und 180/55 ZR 17 (h., M); 32 cm Einscheibenbremse vorne, 26 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS mit Schräglagenfunktion, Traktionskontrolle, Schleppmomentregelung, sechs Fahrmodi (Sport, Straße, Range, Regen, 2x benutzerdefiniert), volle Konnektivität mittels Smartphone, LED-Beleuchtung
Maße und Gewichte: Radstand 1,445 m (A), 1,465 m (D), 1,475 m (M); Sitzhöhe (unbeladen) 80,5 cm (A), 82,5 cm (D), 80,5 cm (M); Gewicht fahrfertig: 197 kg (A), 198 kg (D u. M), Zuladung 165-168 kg
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 163 km/h; Reichweite lt. WMTC-Norm 111 km (D), 122 km (A u. M)
Wartung und Garantie: Erster Service nach 1600 km, danach alle 8.000 km. Fahrzeug-Garantie zwei Jahre, Akku-Garantie fünf Jahre
Preise: 18.830 Euro (A), 19.430 Euro (D), 19.130 Euro (M)