Klassik-Rallyes in Deutschland – Kulturgut auf Rädern
Lesezeit 5 Min. Alte Autos? Für manche ein alter Hut, für andere ein rollendes Kulturgut. Ob Youngtimer oder Oldtimer – diese Fahrzeuge begeistern Generationen und kurbeln zugleich die Wirtschaft an. Sorgsam gepflegt, starten sie bei Klassik-Rallyes in ganz Deutschland – und laden zum Mitmachen ein.
SP-X/Köln. In Zeiten von Elektromobilität und Klimawandel mutet die Beschäftigung mit Klassikern fast wie ein verbotener Besuch im Darknet an. Doch die Oldtimer- und Youngtimer-Szene findet mitnichten irgendwo anonym auf verölten Hinterhöfen statt und verpestet die Luft. Bei einer durchschnittlichen Jahreslaufleistung der Oldies von nur rund 1600 Kilometern hält sich die Belastung für die Umwelt ohnehin in Grenzen.
Fast eine Million Fahrzeugen
An fast einer Million Fahrzeugen in Deutschland klebt zurzeit ein sogenanntes H-Kennzeichen für Autos, die über 30 Jahre alt sind. Es bescheinigt ihnen, dass sie im Originalzustand sind und damit den Status von historischem Kulturgut erfüllen. Sie genießen Steuervorteile, sind oft günstiger in der Versicherung und haben auch ohne Katalysator freie Fahrt in Umweltzonen. Hinzu kommen rund 800.000 Youngtimer im Alter von 25 bis 29 Jahren. Die meisten Oldies sind in Nordrhein-Westfalen zugelassen, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg. Schlusslicht sind Mecklenburg-Vorpommern und Bremen.
Wert aller Oldtimer mit H-Kennzeichen rund 31 Milliarden Euro
Den Wert aller Oldtimer mit H-Kennzeichen in Deutschland beziffert der ZDK (Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe) mit rund 31 Milliarden Euro. Die Ausgaben für Reparaturen, Pflege und Wartung belaufen sich auf 3,8 Milliarden Euro pro Jahr und sichern über 10.000 Mitarbeitern den Job. Wirtschaftsfaktor Oldtimer!
Rund 1.000 Oldtimerclubs in Deutschland
Aber Oldiefahrer müssen nicht zwangsläufig ein dickes Aktiendepot besitzen. Nur jedes 50. Fahrzeug kostet über 100.000 Euro, 40 Prozent liegen in der Anschaffung bei unter 10.000 Euro. Viele der Freizeit-Klassik-Freunde organisieren sich in den rund 1.000 Oldtimerclubs Deutschlands, die sich der Leidenschaft alter Autos widmen. Clubmitglieder helfen bei Ersatzteilen und der Beschaffung von Dokumenten, geben Tipps zur Restaurierung oder organisieren gemeinsame Ausfahrten am Wochenende. Für diese Fans sind Oldtimer viel mehr als nur ein Stück Blech. Sie sind Hobby, Kulturbotschafter und Ikonen der gesellschaftlichen Identität.
Geführte Klassik-Rallye
Wer es etwas professioneller haben möchte, meldet sich bei einer geführten Klassik-Rallye an. Davon gibt es in Deutschland schätzungsweise 600 pro Jahr, genaue Zahlen liegen nicht vor. Zu den größten Veranstaltungen mit sogenannten Gleichmäßigkeitsprüfungen, wo zwischen Lichtschranken und Druckschläuchen auf Zeit bestimmte Strecken zurückgelegt werden muss, zählen Oldie-Rallyes wie die Hamburg-Berlin, die Deutschland Klassik oder die Sachsen Klassik. Die Veranstaltungen sind zwar nicht gerade billig, aber es wird alles für den Oldie-Fan organisiert. Und keine Angst, hier gilt das Motto „Reisen statt Rasen“. Auch wenn manche Wertungsprüfungen durchaus ambitioniert und tricky sind, überfordern sie selten Auto und Fahrer.
Rallye-Profi Armin Schwarz
Der ehemalige Rallye-Profi Armin Schwarz ist einer der führenden Köpfe hinter diesen Veranstaltungen und gilt in der Szene längst als „Mr. Klassik-Rallye“. Mit seinem Team, das vor Ort rund 40 Mitarbeiter umfasst, führt Schwarz drei Veranstaltungen pro Jahr durch. Mehr ist nicht drin. Jede Rallye benötigt etwa acht Monate intensiver Vorbereitungszeit. Strecken definieren, Lokalitäten für Essenstopps suchen, metergenaue Roadbooks erstellen. Und das für oft mehr 200 Teilnehmer. Bei Rallyes, wie der gerade beendeten Hamburg-Berlin waren 110 Fahrzeuge am Start, vom Vorkriegsmodell, über den Millionärs-Flügeltürer bis zum Alltagsoldie im Wert eines warmen Frühstücks. „Das größte Problem bei Rallyes in Deutschland aber sind die zeitfressenden Genehmigungsverfahren in den Landkreisen und Kommunen“ sagt Schwarz. Rund 20 Prozent der Orga verschlinge allein die Bürokratie. Ist alles erledigt und genehmigt, überrascht „das Amt gerne noch spontan mit Tagesbaustellen und Umleitungen“ so Schwarz, „dann müssen wir schnell improvisieren.“
„Immer mehr junge Leute melden sich mit ihren Autos an.“
Schwarz stellt fest, dass die Klassik-Szene gar nicht so vergreist ist, wie man gemeinhin vielleicht denken mag. „Immer mehr junge Leute melden sich mit ihren Autos an.“ Während deutschlandweit im Bestand noch Modelle von Mercedes (W123 + W124) und VW (Käfer, Bus) dominieren, tauchen mit dem Nachwuchs auch immer mehr bezahlbare Youngtimer auf den Rallyes auf. Dreier-BMW, VW Golf II, Audi TT. Aber auch Japan-Oldies wie ein Mazda MX-5, Toyota Celica oder Honda Prelude stehen vermehrt auf den Teilnehmerlisten. Sie verfügen zumeist bereits über moderne Abgasreinigungssysteme und erfüllen die Anforderungen zum Erhalt der grünen Umweltplakette. Der erhobene Zeigefinger am Wegesrand kommt ohnehin nur selten zum Einsatz. Laut ZDK freuen sich über 70 Prozent der Deutschen, wenn sie einen Oldtimer auf der Straße sehen. Offensichtlich hat Nostalgie auf Rädern auch in Zeiten von Elektromobilität noch eine Zukunft. Oder vielleicht gerade deswegen?