Porsche mit Dachzelt für Abenteuerlustige
Dass jemand das halbe Jahr im Auto schläft auch noch Spaß daran hat, ist heute nichts Besonderes mehr. Erst recht nicht in Amerika. Doch wenn einer dafür sein Dachzelt auf einen Porsche 911 stellt, dann zieht das schnell Kreise – mittlerweile bis nach Zuffenhausen.
SP-X/Malibu/Kalifornien. Im Rücken die Malibu Mountains, den Pazifik als Panorama und im Hintergrund das Lichtermeer von Los Angeles – das ist ein Blick, für den die Hollywood-Elite jedes Jahr wahrscheinlich Milliarden an die Makler der Stadt überweist. Denn kaum irgendwo sind Immobilien teurer als am Mullholland Drive oder im Decker Canyon.
Brock Keen genießt diesen Blick heute umsonst -schließlich schläft er in – oder besser auf einer Mobile – und hat hier kurzerhand sein Dachzelt aufgeschlagen. Das wäre an sich noch nichts Besonderes, sondern ist genauso wie in Europa spätestens seit dem Corona-Lockdown auch in den USA ein Mega-Trend. Aber erstens verbringt Keen sein halbes Leben auf der Straße. Und zweitens steht sein Dachzelt statt auf einem der üblichen Vans, Pick-ups oder Allrad Kombis auf einen Porsche 911.
Schließlich hat er sich nicht nur mit dem Road Trip-Bazillus infiziert, seitdem seine Eltern ihn schon in Kindertagen jeden Sonntag und in allen Ferien kreuz und quer durchs Land kutschiert haben. Seit er mit 17 zum ersten Mal einen Elfer fahren durfte, hat ihn auch das Porsche-Virus fürs Leben gepackt. Deshalb musste irgendwann zusammenfinden, was für ihn zusammengehört. Selbst wenn das so natürlich nicht geplant war, sagt der heute 42jährige.
Beim Shopping über ein Dachzelt gestolpert
Angefangen hat seine Karriere als Glamper mit einem seiner wenigen wirtschaftlichen Fehlgriffe als Selfmademan-Unternehmer, der sein Vermögen mit Internet-Start-Ups, Aktien und AirBnB-Immobilien gemacht hat, auf der Resterampe des Outdoor-Spezialisten „Rei“. „Dort bin ich beim Shopping über ein Dachzelt gestolpert und habe es eigentlich nur gekauft, um es gewinnbringend an ein paar Kollegen zu verscherbeln“, erinnert sich Keen. Als die jedoch nicht wollten, hat er es eben aufs eigene Auto geschraubt. Und weil es auf den alten Range Rover nicht gepasst hat, musste eben der 911 herhalten. „Das war 2018 und seitdem habe ich es nicht mehr runtergenommen.“
Zwar hat er nicht nur einen Parkplatz, sondern tatsächlich auch noch ein Haus irgendwo in der Nähe von Portland, mit einer übrigens gut gefüllten Garage, ist aber trotzdem mindestens 150 Nächte pro Jahr auf der Straße – oder besser nebendran. Denn es ist vor allem die wilde Natur, die es ihm angetan hat. „Und davon gibt es bei uns ja reichlich.“
Unter den Sternen schlafen
Einsame Strände, weite Wüsten, raue Gebirge – und immer mutterseelenallein: „Wer braucht schon ein Fünf-Sterne-Hotel, wenn er unter einer Million Sternen schlafen kann?“, fragt Keen, während seine Frau Sara glänzende Augen bekommt. Erst recht nicht in den USA, wo man anders als bei uns sein Zelt überall aufschlagen darf, wo es nicht explizit verboten ist.
Natürlich ist Keen mit seinem Faible fürs Camping nicht alleine – genau wie bei uns ist das Abenteuer draußen gerade ein Mega-Trend. Und weil dort niemand auf Campingplätze gezwungen wird, sind viele Hunderttausende wie er ständig auf Achse oder haben ihr Leben ganz auf die Straße verlagert. Doch während die meisten dafür in der Regel einen Van nehmen wie den alten VW Bulli oder den aktuellen Mercedes Sprinter, fährt Keen – fast immer mit Hund Lucy und am liebsten auch mit Sara – im Porsche, dokumentiert die Roadtrips sehr professionell und hat als #996Roadtrip unter seinen über fünf Millionen Followern längst viele Nachahmer inspiriert. Seitdem ist das Netz voll von exotischen Autos mit Dachzelten – vom Toyota Prius über das Tesla Model S bis hin zu Oldtimern wie dem Citroën Traction Avant.
Im Windkanal an der Aerodynamik gefeilt
Und selbst Porsche ist auf den Trend aufmerksam geworden – und hat wie viele andre Hersteller – mittlerweile auch ein Dachzelt ins Zubehör-Programm genommen. Zwar haben die Schwaben das mobile Ferienheim für Frischluftfreunde natürlich nicht selbst entwickelt, sondern bei einem Spezialisten eingekauft. Aber Porsche wäre nicht Porsche, wenn sie das Dach in Weissach nicht wenigsten ein bisschen optimiert hätten. Deshalb haben sie den Deckel, der das in wenigen Minuten aufgebaute Zelt während der Fahrt zu einem armdicken Päckchen auf dem Dachträger verschließt, erst einmal in den Windkanal geholt. Dort haben die Ingenieure so lange an der Aerodynamik gefeilt, dass der Luftwiderstand und mit ihr der Verbrauch und vor allem der Lärm beim Fahren nach unten gingen – und das Tempo rauf. Zwar ist das für Porsche-Fahrer noch immer bescheiden, doch nach dem Feinschliff sind jetzt immerhin 130 km/h erlaubt. Aber irgendwie müssten die Schwaben ja auch den stolzen Preis von 4.980 Euro rechtfertigen, den sie für das mit hydraulischer Aufstellhilfe, drei Quadratmeter großer Matratze und auf Wunsch sogar mit Heizdecke ausgestattete Penthouse verlangen.
Klar, kann man das Zelt auch auf einen Cayenne oder Macan schrauben, räumt Keen ein. Schließlich haben es die Schwaben für alle Autos außer Boxster und Cayman freigegeben. Als er kürzlich in Stuttgart seinen ersten Taycan abgeholt und ihn selbst zum Containerhafen gefahren hat, wurde das natürlich wieder ein Roadtrip unterm Dachzelt. Und hier in den USA nimmt er den Stromer ebenfalls gerne, weil der Cross Turismo mit Allradantrieb und Bodenfreiheit natürlich ideal ist für ein paar Abwege, und weil die Dachlast von 190 Kilo auch kein Schaden ist für den Familienausflug mit Frau und Hund.
Ungläubige Blicke
Doch das Perfect Match ist und bleibt für ihn der Elfer. Nicht nur, weil das nach wie vor die meisten ungläubigen Blicke erregt. Auch nicht wegen dem Komfort in der Nacht, sondern weil das Auto den meisten Fahrspaß am Tag bietet. „Und der ist nun einmal nirgends größer als in einem Sportwagen, selbst wenn jetzt ein paar Kilo mehr auf dem Dach lasten.“ Und noch einen Vorteil hat Keen seinem ungewöhnlichen Basisfahrzeug abgewonnen: „Wenn man nachts mal raus muss, macht es einen großen Unterschied, ob man vom Flachdach eines Elfers steigt, oder aus schwindelnder Höhe von einem Cayenne klettert“.
Dass dabei im Elfer nur wenig Platz bleibt fürs Gepäck, stört den Roadtripper wenig, und selbst Sara hat sich damit notgedrungen arrangiert, lächelt sie. Nur während sie das mit Rucksackwandern vergleicht, wo man sich ja auch ein wenig bescheiden und beschränken muss, denkt Keen lieber an Rennwagen, bei denen ebenfalls alles Unnötige draußen bleibt. Und für eine Zahnbürste, frische Socken, einen Wasserkocher und ein paar Beutel Astronautennahrung ist selbst in einem Elfer Platz.
Mit dem Elfer auf Achse
Nach mehr als fünf Jahren und 175.000 Meilen, in denen er tagsüber mit seinem Elfer auf Achse war und ihm nachts aufs Dach gestiegen ist, kennt Keen in den USA bald jede Straße – und sehnt sich nach neuen Abenteuern. Er plant einen großen Sommerroadtrip mit seinen 996 durch Europa und träumt davon, irgendwann einmal quer durch Australien zu fahren.
Doch seit dieser Woche stehen ihm womöglich auch daheim buchstäblich neue Wege offen. Denn nur eine Stunde von seinem Nachtlager in den Malibu Mountains entfernt hat Porsche gerade den 911 Dakar enthüllt und den Sportwagen zum SUV gemacht: Mit Allradantrieb, grobstolligen Reifen, mehr Bodenfreiheit – und auf Wunsch auch mit Dachzelt. „Den muss ich haben“, sagt Keen und plant im Geiste schon die ersten Road-Trips, die dann nicht mal mehr Straßen brauchen. Dass er dafür erst mal raus aus den Bergen und runter in den Moloch von Los Angeles musste, hat er billigend in Kauf genommen. Denn spätestens mit Einbruch der Dunkelheit ist er ja wieder aus der Zivilisation geflüchtet. Wofür schließlich gibt’s hinter Hollywood die berühmten Hügel.