Porsche 911-Kreationen von Singer: Begehrt und teuer
Für Porsche-Puristen ist Rob Dickinson ein Frevler. Doch seinen Erfolg belegen nicht nur die abstrusen Preise, die er für seine Neuinterpretationen erzielt.
SP-X/Los Angeles/USA. Das ist ein Bild, das man so selbst in Zuffenhausen nur selten zu sehen bekommt. In der großen blitzblanken Werkstatt einen Steinwurf vom Flughafen von Los Angeles entfernt stehen bestimmt zwei Dutzend Porsche 911, die ausgebeint sind bis auf die Grundkarosserie, und in der Halle nebendran noch einmal doppelt so viele Fahrzeuge, die Montageschritt für Montageschritt so langsam wieder zu einem Auto werden. Und dazwischen lagern Karbonteile, nagelneue Bremsen und Fahrwerke, Soundsysteme und Kabelbäume, während irgendwo Sattler am Leder schneiden und Näherrinnen geschickt zierende Stiche setzen.
Willkommen bei Singer
Für die einen aus dem Porsche-Lager ist das der Himmel auf Erden, weil hier mehr Elfer zusammenkommen, als man an manchen Tagen im Werk sieht und weil die Autos am Ende nicht nur besser aussehen als damals, als sie in Stuttgart vom Band kamen, sondern auch noch besser fahren. Und für die anderen der ach so treuen Elfer-Enthusiasten ist diese Werkstatt die Hölle, weil sie hier Frankenstein-Fahrzeuge bauen, die mit dem Original nicht mehr viel gemein haben als die Grundform, das Layout des Antriebs und die Idee vom schnellen Fahren. Willkommen bei Singer, dem mittlerweile wahrscheinlich nicht nur bekanntesten Porsche-Schrauber der Welt, sondern auch einem der umstrittensten.
Norbert Singer, legendärer Renningenieur
Firmenchef Rob Dickinson, der aus London nach Los Angeles gekommen ist und seine Firma nicht nur nach dem legendären Renningenieur Norbert Singer benannt hat, sondern weil er dafür auch eine – nun ja – eher mittelmäßige Karriere als Rockmusiker aufgegeben hat, kennt diese Diskussionen natürlich zur Genüge. Und hat eigentlich gar keine Lust mehr darauf. Deshalb versucht er auch gar nicht erst, seinen Wagen als Original oder wenigstens als originalgetreuen Nachbau zu verkaufen. Er schreibt gleich auf den Heckdeckel oder ins Cockpit, was ihn zur Arbeit an dem Klassiker getrieben hat: „Reimagined“ steht deshalb unter seiner Singer-Signatur – „neu ersonnen“.
Am Porsche 911 kommt man einfach nicht vorbei
Original oder Kopie, plagiiert oder inspiriert? Er will einfach nur ein Auto bauen, das klasse aussieht und sich auch so fahren lässt. „Und da kommt man am Porsche 911 einfach nicht vorbei“, sagt er über den Sportwagen, den er ehrfürchtig das „Meisterstück“ nennt. Auf Authentizität gibt er dabei herzlich wenig und sieht sich damit in der Tradition der Porsche-Ingenieure: „Erlaubt ist, was schnellt macht“, fasst er das gemeinsame Motto zusammen und feiert seine Interpretation des Elfers deshalb als das Kondensat all dessen, was einen Porsche 911 ausmacht. „Wir nehmen aus der gesamten Modellgeschichte die besten Komponenten und haben diese, wo nötig, sogar noch einmal weiterentwickelt“, sagt Dickinson, der sich als Basis den 964 ausgesucht hat, weil der zwar oft gebaut, aber lange Jahre wenig geliebt wurde und deshalb günstig zu haben war. Und weil es eben der Elfer in der schier ewigen Elfer-Historie war, mit dem er als junger Autofahrer aufgewachsen ist und der zum günstigen Gebrauchten wurde, als er seine Firma gegründet hat.
Neue Manufaktur in Torrance
Was vor bald 15 Jahren in einer Hinterhofwerkstatt in Sun Valley begonnen hat, ist mittlerweile eine Unternehmung von industriellem Standard. Immer wieder gewachsen und am Ende über sieben Standorte verteilt, hat Firmenchef Dickinson deshalb im Frühjahr Nägel mit Köpfen gemacht und die neue Manufaktur in Torrance eröffnet, in der seine 200 Mitarbeiter jetzt den gesamten Prozess unter einem Dach abwickeln können. Lediglich die Demontage machen sie wo anders, weil sie den Dreck draußen lassen wollen aus ihrer schönen neuen Welt. Also schlachtet ein Partner vor den Toren der Stadt die 964 aus, die Singer überall im Land zusammenkauft, entsorgt, verwertet, verkauft oder verwahrt rund 1.500 plötzlich überflüssige Teile. Übrig bleiben rund 500 Teile von der Bodengruppe bis zum Grundmotor, die in großen Kisten nach Torrance gehen, wo daraus in bis zu 4.000 Stunden Handarbeit die vielleicht besten Porsche werden, die in Zuffenhausen nie gebaut wurden.
Karosserie aus Karbon
Die Karosserie im Stil des Ur-Modells wird nach eigenem Design aus Karbon gebacken, der Rahmen ist weitgehend neu und gründlich verstärkt, es gibt eine Elektronik aus der Jetztzeit samt leistungsstarker Klimaautomatik und verstecktem Infotainment-System, und wenn der in Anlehnung an die legendären Modelle mit dem Entenbürzel selbst entworfene Heckspoiler ausfährt, sieht man darunter einen blitzblank polierten Boxer, den Rennmotorenspezialist Cosworth in England binnen sechs Monaten frisch gemacht hat: Sechs Zylinder, 3,8 Liter Hubraum, viele Bauteile aus Porsche-Rennmotoren und die Ventile aus dem 993 RS – das reicht für ein sensationelles Sägen schon im Leerlauf, für Drehzahlorgien bis weit über 10.000 Touren und vor allem für 350 PS. Wenn man dann noch ein Rennfahrwerk einbaut und bedenkt, dass die Neuinterpretation mit dem ganzen Karbongedöns etwa 200 Kilo leichter ist als das Original, dann weiß man, weshalb Dickinsons Kunden die Rundstrecke gerne zu ihrer zweiten Heimat machen.
Wem das noch nicht genug ist, der bekommt seit ein paar Jahren auch eine Hubraumerweiterung auf vier Liter, mit denen dann fast 400 PS drin sind und Sprintwerte von kaum mehr als drei Sekunden. Und mit den riesigen Tröten auf den Zylindern sieht der Motor obendrein auch noch besser aus.
Das Geschäft läuft
Wie gut das Geschäft läuft, zeigt ein Blick auf die Wertentwicklung. Nicht nur, dass Singer aktuell kaum mehr einen Neuwagen mit weniger als sieben Stellen auf dem Preisschild ausliefert. Selbst die gebrauchten gehen durch die Decke: Der Testwagen aus der Park City-Commission jedenfalls, der vor drei Jahren für 600.000 Dollar verkauft wurde und mittlerweile viele tausend Meilen mehr auf dem Tacho hat, dürfte nach der Werksdurchsicht locker für 1,2 Millionen Dollar weggehen, schätzt Service-Chef Jay Goddard.
Gut angelegtes Geld
Aber das Geld ist gut angelegt. Nicht nur, dass der Wagen vom stromlinienförmigen Deckel des Zentraltanks über die Ansaugtrichter auf dem Motor bis hin zu aus Leder gewobenen Matten der Türverkleidung einfach wunderbar aussieht mit seiner dezent modernisierten Karbon-Karosse und dem detailverliebt modernisierten und veredelten Innenraum. Er fährt auch zum Niederknien – analog, anarchisch und aggressiv, wie ein alter Porsche eben fahren muss. Und trotzdem so handzahm, wie es selbst verwöhnte Amerikaner von einem modernen Porsche erwarten, den Sicherheitsgewinn des Allradantriebs und der Karbon-Bremsen inklusive. Na ja, nur am Schaltgetriebe führt zumindest bei diesem Auto kein Weg vorbei.
Drei Jahre Wartefrist
In bald 15 Jahren ist Singer mit solchen Autos nicht nur zu Ruhm und Ehre gekommen und hat in der Szene so einen hohen Stellenwert, dass Kunden bereitwillig drei Jahre auf ihr Auto warten, weil schließlich jeden Monat nur vier fertig werden. Er hat auch viele Nachahmer inspiriert: „Manche sind nach unserem Geschmack und manche eben nicht“, sagt Dickinson über Firmen wie die von Selbstvermarkter Magnus Walker oder Everrati, die auch noch einen E-Motor ins Auto schrauben.
Spenderautos werden massiv teurer
„Während wir den Kunden gezeigt haben, wie man alte Autos sehr viel besser machen kann, ohne ihren Charakter zu verbiegen, haben wir den Konkurrenten gezeigt, wie man den Erlös im Umgang mit alten Autos in neue Höhen treiben kann und damit offenbar viele auf den Geschmack gebracht“, sagt Goddard. Wobei das entscheidend an der Wahl des Basismodells hängt und bei einem Porsche besser gelingt als etwa einem Dodge Charger oder einem Golf GTI. Und auch bei Porsche ist es nicht mehr ganz so leicht. Wenn auch der 964 ein dankbarer Spender ist, weil davon zwischen 1989 und 1994 einfach so viele gebaut wurden, müssen sie bei Singer mittlerweile länger suchen und tiefer in die Tasche greifen: „Wo wir früher Spenderautos für 25.000, 30.000 Dollar bekommen haben, zahlen wir heute das doppelte und mehr“, sagt Goddard. Aber bei Endpreisen jenseits einer Million dürfte es darauf dann auch nicht mehr ankommen.
Mindestens zwei neue Elfer-Projekte
Trotzdem will Dickinson das Spiel noch ein bisschen weitertreiben, „Denn so schnell gehen uns die Ideen nicht aus.“ Nachdem er gerade erst den Turbo präsentiert und sich damit erstmals an den aufgeladenen Motor gewagt hat, spuken ihm noch mindestens zwei neue Elfer-Projekte im Kopf herum, die ihn die nächsten drei, vier Jahre beschäftigen werden.
Zeit für ein Singer-Auto?
Doch dann könnte es Zeit werden für den nächsten Schritt, sagt Dickinson und deutet eine einschneidende Änderung im Portfolio an. Ob er sich einer anderen Porsche-Baureihe annimmt oder es gleich mit einer anderen Marke versucht? „Beides denkbare Möglichkeiten“, sagt der Firmenchef mit einem süffisanten Grinsen, nur um dann noch auf eine dritte Variante hinzuweisen: Vielleicht wird es dann auch mal Zeit für ein ganz eigenes Auto. Denn nach dann 20 Jahren und ganz sicher mehr als 1.000 Neuinterpretationen des 911 sollte der Name Singer dann stark genug sein, dass er auch ohne Porsche stehen kann.