Pininfarina Battista: Test im Highspeed-Oval von Nardò
Wenn der Pininfarina Battista jetzt bald auf der Electric Avenue in die Pole Position vordrängt, müssen umweltbewusste Sehr-Viel-Besserverdiener aufpassen. Zwar ist der italienische Batteriebolide für seine irrwitzige Leistung erschreckend gut beherrschbar. Doch die Gefahren lauern anderswo.
SP-X/Nardò/Italien. Natürlich hatte auch er mal Benzin im Blut. Nicht umsonst hat René Wollmann seine Karriere beim sportlichen Mercedes-Ableger AMG begonnen. Doch mittlerweile ist der Westfale so etwas wie Mister-1000-Volt, durch seine Adern fließt Starkstrom und er steht unter noch höherer Spannung als die meisten ohnehin stark elektrisierten Ingenieure in der Automobilbranche. Nachdem er schon bei AMG vom Achtzylinder zum Akku übergelaufen ist, erst den SLC eCell verantwortet und dann das Project One auf den Weg gebracht hat, ist er mittlerweile Entwicklungschef bei Pininfarina und verantwortet dort nicht weniger als den ersten Hyper-Sportwagen der Akku-Ära. So potent ein Porsche Taycan oder ein Tesla Model S auch sein mögen, vom exotischen Rimac Concept One ganz zu schweigen, verblassen sie gegen das, was Wollmann mit dem Battista vorhat. Und Bugatti & Co aus der alten Welt gleich mit: 1.900 PS und 2.300 Nm machen die flüsterleise Flunder zum stärksten Auto, das je in Italien gebaut wurde, und sichern ihm erst einmal die Pole Position nicht nur auf der Electric Avenue.
Natürlich sind solche Leistungen bei Elektroautos leichter darzustellen als bei einem Verbrenner, räumt Wollmann ein. Denn wo seine Kollegen aus der alten Welt ihre vielzylindrigen Triebwerke bis aufs letzte ausquetschen müssen, baut er einfach vier Motoren ein, die jeweils kaum größer sind als ein Schuhkarton und schon jeder für sich mehr Power haben als die meisten Porsche. Vorne zwei mit jeweils 250kW/340 PS, hinten zwei mit jeweils 450 kW/612 PS – schon wirken selbst die 1.500 PS des Bugatti Chiron plötzlich eher bescheiden.
Doch leider ist das nur die Theorie, schickt der Entwicklungschef hinterher. In der Praxis muss man diese Maschinen schließlich auch mit ausreichend Energie versorgen, weshalb der Battista auch bei der Batterie neue Bestmarken setzt und fast 7.000 Lithium-Ionen-Zellen mit einer Gesamtkapazität von 120 kWh für eine WLTP-Reichweite von über 500 Kilometern mit sich herumschleppt. Und ein Ladegerät, das bis zu 250 kW beherrscht und so den Hub von 20 auf 80 Prozent in weniger als 25 Minuten schafft. Immerhin soll der Spaß nicht schon nach ein, zwei Runden wieder vorbei sein, erst recht nicht, wenn der Battista als Gran Turismo vermarktet und so zumindest verbal auch auf die Langstrecke geschickt wird.
Jeder Motor des Pininfarina Battista wird separat angesteuert
Und man muss das Zusammenspiel der Motoren auch entsprechend orchestrieren. Das ist allerdings Bürde und Chance zugleich. „Wer das smart und sauber löst, kann eine bislang unerreichte Form des Toque Vectorings darstellen“, schwärmt Wollmann. Weil jeder Motor einzeln angesteuert wird und sein Drehmoment in wenigen Millisekunden ins Gegenteil verkehren kann, lässt sich die Kraft besser verteilen als mit jeder Traktions- oder Stabilitätskontrolle und der Battista fährt durch Kurven, dass es einem die Sinne raubt.
Der Mann, der für Wollmann diese Sinne beisammenhalten und das Orchester dirigieren soll, ist kein geringerer als Nick Heidfeld. In der Formel 1 groß geworden und danach in die Formel E gewechselt, schließt er jetzt den Rennanzug und startet auf dem Handlingkurs des Highspeed-Ovals in Nardo nach Monaten im Labor und im Simulator zur Jungfernfahrt – und kommt aus dem Staunen kaum mehr heraus.
„Selbst die Autos in der Formel E beschleunigen nicht so brutal“
Denn spätestens, wenn er im schicken, aber schlichten Cockpit bei den Fahrprogrammen von „Calma“ auf „Furiosa“ wechselt und danach flott den Fuß senkt, wünscht er sich den Helm, den er so leichtsinnig in der Box gelassen hat. Nicht weil das Auto so schwer zu beherrschen sei. „Im Gegenteil“, sagt Heidfeld und wundert sich stattdessen eher, wie kinderleicht er den Wagen auf Kurs halten und wie eng er ihn an der Ideallinie führen kann und dafür nicht mehr braucht als zwei Finger am Lenkrad. Sondern weil sein Kopf beim Kickdown so heftig gegen den Sitz knallt, dass es fast schon weh tut. „Selbst die Autos in der Formel E beschleunigen nicht so brutal“, sagt er, während das Grinsen förmlich durch die Corona-Maske hindurch schimmert, „dabei wiegen die nicht einmal halb so viel wie der über zwei Tonnen schwere Battista.“ Hat Wortmann also doch nicht zu viel versprochen, wenn er den Sprint von 0 auf 100 in weniger als zwei Sekunden in Aussicht stellt, in nicht einmal sechs Sekunden auf 200 und in unter zwölf Sekunden auf 300 sein will. Dagegen wirken die 350 km/h Spitze fast schon bescheiden.
Aber es ist nicht allein die schiere Beschleunigung, die den Battista auszeichnet. Was Heidfeld mindestens genauso begeistert, das ist die Präzision, mit der er den Pininfarina beherrschen kann. Vier individuell angesteuerte Motoren mit rasend schneller Schubumkehr ermöglichen das perfekte Torque Vectoring und damit die ultimative Stabilitätskontrolle. Und das alles, ohne jegliche Verzögerung, wie man sie selbst von den schnellsten Verbrennern kennt: Heidfeld bremst Kurven später an, durchschneidet die Radien mit größerer Geschwindigkeit und steht früher wieder auf dem Gas. Und obwohl der Battista alles andere als ein Leichtgewicht ist und auch kein puristischer Renner für die Rundstrecke, lässt er sich dabei von der Fliehkraft nicht im mindesten beeindrucken – das ist digitales Rasen 2.0 und ein Erlebnis, das man buchstäblich erst einmal verdauen muss. Wer nach drei Runden neben Heidfeld vom Beifahrersitz klettert, ist fürs erste bedient und macht ums Buffet einen großen Bogen.
Pininfarina Battista: Manifest eines neuen Selbstbewusstseins
Pininfarina feiert den Battista nicht nur als Supersportwagen, sondern auch als Manifest eines neuen Selbstbewusstseins. Nachdem die Italiener 90 Jahre lang die schönsten und spektakulärsten Autos für andere Hersteller gezeichnet und zum Teil auch entwickelt haben, rühmen sie den elektrischen Tiefflieger als erstes eigenes Produkt. Doch ist das leider nur die halbe Wahrheit. Denn bei Akkus und Antrieb und beim Monocoque aus Karbon kooperieren die Italiener mit dem kroatischen Start-Up Rimac, das auf dem gleichen Hightech-Skateboard seinen C2 aufbaut und damit schon den ersten Konkurrenten für den Battista auf den Weg bringt. Und als wäre das noch nicht genug, arbeitet auch Lotus an einem elektrischen Extremisten, der als „Evija“ mit 2.000 PS den Beginn einer neuen Ära für die siechen Briten markieren soll. Und irgendwie drängt auch der neue Tesla Roadster mit seinen mehr als 1.000 PS in diese Liga der eiligen Elite.
So gut der Battista auch fahren mag, so spektakulär er aussieht und so gering die Reue beim Rasen ist, wird Wollmann die Welt mit dem Renner natürlich nicht retten. Denn selbst wenn der Ingenieur bei so einem Projekt mehr experimentieren kann und deshalb auf viele neue Erkenntnisse hofft, wird der Einfluss auf das globale Klima eher gering sein. Erst recht, wenn der Battista, wie zu vermuten, die meiste Zeit doch nur in einer klimatisierten Sammler-Garage stehen wird. Und trotzdem ist es für Mister 1.000 Volt bereits ein großer Schritt. Nachdem es vom SLS eCell kaum ein Dutzend Autos gegeben hat, will Pininfarina den Battista immerhin 150 Mal bauen.