IAA Mobility 2023: Ein Rundgang
Lesezeit 5 Min. Die größte Automesse Deutschlands ist für die Münchner Bevölkerung auch im Jahr 2023 vor allem ein angenehmes Event in der Innenstadt. Wer mag, geht hin – vielleicht sogar zum Auto-Schauen. Die Aufreger kommen eher von außerhalb.
SP-X/München. Auf ihren stärksten und wichtigsten Verbündeten kann sich die Internationale Automobilausstellung auch in diesem Jahr verlassen: das Wetter. Die ganze IAA-Woche hindurch zeigt sich allenfalls mal ein schneeweißes Wölkchen am tiefblauen Himmel – und die Sonne sorgt für Sommerfestival-Feeling. Da wird Jürgen Mindel erleichtert aufseufzen. Denn der Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) weiß um die Kraft der drei G: Gutes Wetter ist die wesentliche Voraussetzung für gute Laune und guten Besuch in der Münchner City.
Unter freiem Himmel
Schließlich findet der Großteil aller Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte, Testfahrten oder Imbiss-Gelegenheiten unter freiem Himmel statt. Und die Messe mitten in der Stadt lebt auch davon, dass Menschen über sie bummeln, die eigentlich einfach nur zum Shoppen in die Stadt gefahren sind – und zwischen einer Maß Bier, Weißwürsten oder der Suche nach der neuen Wiesn-Tracht dann auch ein wenig Autos schauen wollen.
Es gibt ihn noch, den „Autofreak“
Der Plan geht 2023 auf: Vor den Ständen von Porsche und Audi am Wittelsbacher Platz, Mercedes im Hof der Residenz oder Volkswagen am Königsplatz bilden sich schon am Vormittag die ersten Schlangen. „Ich will mir das activesphere concept-Car anschauen“, sagt Jürgen aus Haidhausen und wartet geduldig auf Zutritt zum Audi-Stand. Der Porsche-Auftritt unter einem Dach in Form der 911er-Silhouette gleich nebenan steht direkt danach an. Es gibt ihn noch, den „Autofreak“, wie der 35-jährige Bankkaufmann sich selbst beschreibt. Derweil gehen zwei Männer der gleichen Altersklasse auf der anderen Straßenseite vorbei, nur mit Augen für die Auslage eines Edelschneiders. „Die Chinos da sind doch viel cooler als jede Karre”, sagt der eine, gefragt nach seinem Desinteresse an der PS-Show gegenüber. Und auf Anstehen bei Porsche haben die beiden auch keine Lust. „Wenn, dann höchstens bei Louis Vuitton in der Residenzstraße“, witzelt sein Freund.
Die Ausstellungsstände sind auch dieses Jahr wieder gratis
Warten ist übrigens auf der IAA öfter angesagt. Denn alle Ausstellungsstände in der Stadt sind auch dieses Jahr wieder gratis zu besuchen – und Corona-Beschränkungen wie noch 2021 gibt es nicht mehr. Vor allem am Wochenende dürfte es daher eng zugehen in den schmalen Straßen zwischen den Exponaten. Zudem wollen die Aussteller natürlich auch die Kontrolle haben, um handgreifliche Proteste inmitten der IAA zu verhindern.
Starkes Polizeiaufgebot
Nach der Septembersonne ist darum auch 2023 wieder der zweitstärkste Verbündete der Ausstellungsmacher präsent: die Polizei. Mehr als 4.500 Ordnungskräfte hat der Staat aufgeboten, um die IAA vor militanten Kritikern oder Terror zu schützen. Dazu kommt das eigene Wachpersonal der Aussteller. Dabei ist aber kein martialischer Aufmarsch zu sehen. Polizistin Sylvia sagt etwa: „Wir halten vor allem auf den Ausfallstraßen, in der Fußgängerzone oder bei den Zugängen zum Gelände die Augen auf – und machen die Straßen möglichst schnell wieder frei.“ Schließlich wollen die meisten Münchner ja nur ihre normale Alltags-Mobilität rund um die Innenstadt – und vielleicht am Abend noch die zehn Kilometer zu Ammer- oder Starnberger See fahren. Es ist noch bestes Badewetter in Bayern.
Mit ein, zwei Stunden Bummel zu Opel, BYD, Renault oder Tesla, einer Diskussionsrunde am Marienplatz oder einer kurzen Testfahrt im Xpeng Richtung Siegestor ist es denn für die meisten Einheimischen auch getan. Es ist halt Sommer.
Auto-Begeisterte und Klimaschützer
Wer allerdings nur von weiter Ferne verfolgt, was so in Sachen IAA über die Bildschirme flimmert, der könnte leicht verwirrt sein: Denn dort werden vor allem zwei Bilder gemalt – Variante eins: Die allzweijährliche Wallfahrt der Auto-Begeisterten unter ihrer Monstranz mit dem Motto „Schneller, höher, breiter“ (nur eben elektrisch). Variante zwei: Die Entscheidungsschlacht im Krieg der Klimakleber gegen das teuflische Auto und seine vernagelten Anhänger. Verdrehter kann die Wirklichkeit kaum plakatiert werden.
Gelassen durchs Ausstellungsgelände flanieren
Denn auf dem offenen Ausstellungsgelände in der Münchner Innenstadt ist davon auch am heißen Nachmittag nichts zu bemerken. Gelassene Menschen flanieren da zum neuen Elektro-Mini, E-Roller, Lego-Sportwagen oder einem der Gratis-Konzerte, ein Eis oder die Bratwurst in der Hand, gern auch in vegan. Nebenbei lassen sich Fahrzeuge aller Art ansehen, anfühlen und erfahren. Das geht auf der IAA Mobility tatsächlich so gut wie auf keiner anderen Messe der Welt. Genau dieses Konzept könnte ihr Überleben auch in den kommenden Jahren sicherstellen – in einer Zeit, wo die reinen Automessen rund um den Globus aussterben. „Das Auto ist eben nicht mehr die einzige Lösung“, sagt selbst Auto-Funktionär Mindel. Auch, wenn ihn die Fundamental-Opposition gegen Deutschlands wichtigste Industrie nicht hören mag.
Fridays for Future und die Letzte Generation
Denn es gibt sie natürlich auch im Umfeld des IAA-Events, die Autohasser. Auf dem Messegelände ist davon im Lauf der ersten Tage zwar bisher eher keiner zu sehen. Dabei waren Fridays for Future oder die Letzte Generation sogar vom Veranstalter eingeladen worden, auf einem eigenen Stand ihren Protest zu zeigen. Die Auto-Opposition versammelt sich aber lieber unter rund 1.500 Gleichgesinnten im Camp auf dem Luitpoldpark in Schwabing, gleich bei der Hauptverkehrsader Mittlerer Ring. Vanessa Probst, Sprecherin des Organisationsteams, will dort „Wege aus der fossilen Autofalle“ aufzeigen, friedlich, konstruktiv und ungeachtet der Tatsache, dass auf der IAA nur Elektroautos ausgestellt sind. Ihre Mitstreiter im Klima-Camp aus halb Europa mit Namen wie „Sand im Getriebe“, „No Future for IAA“ oder „Smash IAA“ klingen aber eher nach Zoff.
Proteste gegen die Autoindustrie
Zum Start der IAA gab es auch bereits erste Störaktionen abseits der City – mit Abseilen von Brücken, Blockieren von Straßen oder dem Versenken von Autos im Teich vor dem Messegelände im Osten. Da treffen sich abseits von der großen Mobilitätsshow die Fachbesucher. In der Innenstadt ist vom militanten Protest bisher für die Menschen hier nichts zu spüren; vor allem, da in München 80 Prozent der City-Besucher stets per U-Bahn, Rad, Bus, Tram oder gleich zu Fuß unterwegs sind. Mit dem Auto kommen wohl nur Auswärtige direkt zur IAA – und das ist sicher keine gute Idee. Am Wochenende aber wollen die Gegner*innen sich zudem Richtung City bewegen, um gegen die Autoindustrie und ihre mobilen Ideen zu protestieren.
Auf zwei Rädern unterwegs
„Da bleib ich lieber weg, das ist mir zu wild“, sagt Julia aus dem wohlsituierten Szeneviertel am Glockenbach. Sie hat ihren IAA-Marathon schon heute hinter sich gebracht. Ganz friedlich – und auf zwei Rädern. Die zweifache Mutter findet „die Messe eigentlich eine gute Idee, weil sie Platz für alle Formen der Mobilität bietet.“ Die blonde Frau mit dem Sonnenblumen-Sticker auf der Tasche hat an diesem Dienstag schon Testfahrten mit vier verschiedenen Elektrofahrrädern durch den idyllischen Englischer Garten gemacht. Die Freude am Fahren schmälert bloß, dass ihre favorisierten Lastenräder alle mehr als 5.000 Euro kosten sollen. Da mag sie lieber noch mal ein fünftes Rad mit Hilfsmotor auf der IAA-Teststrecke durch den Stadtpark bewegen, vorbei an Sonnenbadenden, Biergarten-Freunden und Eisbach-Surferinnen. Der vierjährige Lukas ist allerdings von einer weiteren Runde im Holzkasten vor dem Lenker sichtlich wenig angetan. Dem Fratz scheint nach zwei Stunden Geschaukel in der prallen Sonne über dem Basecap jede Begeisterung an dieser Form der Mobilität verloren gegangen. Zum Protest schwingt Lukas jetzt seine eindeutig genderneutrale Schafswoll-Babypuppe in den weißblauen Himmel und kräht akzentfrei wie ein echter Italiener: „Lamborghini – Lamborghini“. Auch eine Form des friedlichen Protests …
Wo er die nur wieder her hat? Jedenfalls nicht von der IAA-Mobility. Da gibt’s ja nur Elektroautos zu sehen – und Lambos daher frühestens 2025. Hoffentlich spielt das Wetter dann wieder mit.