Hintergrund: Elektroantrieb in der Luxusliga
Lesezeit 5 Min. Ja, die Elektromobilität stockt und alle Welt klagt über zu hohe Preise. Aber ausgerechnet da, wo das Geld am lockersten sitzt, ist die Zurückhaltung offenbar besonders groß. Warum nur wollen Superreiche keine Stromer? Oder mangelt es einfach nur an der Auswahl?
SP-X/Köln. Sein neuer Bugatti Tourbillion ist – so hört man jedenfalls aus der Firmen-Zentrale in Molsheim – zwei Jahre vor dem Start schon größtenteils ausverkauft. Doch mit dem Verkauf seines elektrischen Supersportwagens Nevera tut sich Mate Rimac deutlich schwerer – obwohl er mit 2,4 Millionen Euro kaum halb so teuer ist und mit seinen über 1.900 PS trotzdem mehr Leistung hat. Zwar rühmen sich die Kroaten, schon jetzt mehr elektrische Supersportwagen auf die Straße gebracht zu haben als jeder andere Hersteller. Doch während den Luxusherstellern ihrer übermotorisierten Vielzylinder förmlich aus den Händen gerissen werden und die Diskussion um das de facto Verbot der Verbrenner zu einer Torschlusspanik führt, die den Markt weiter anheizt, finden die Stromer nur langsam Platz in den klimatisierten Großgaragen milliardenschwerer Auto-Afficionados. Nicht umsonst legt Rimac eine Sonderserie des Nevera nach der anderen auf und hat gerade ein Modell zum 15. Geburtstag des Unternehmens vorgestellt.
Elektroautos tun sich offenbar schwer in einem Markt, in dem Autos keine Fahrzeuge mehr sind, sondern Sammlerstücke und Investitionsgüter. Zwar sei seine Aussage, „Superreiche wollen keine Elektroautos kaufen“, mit der Rimac kürzlich bei einem Kongress in London für Schlagzeilen gesorgt habe, aus dem Zusammenhang gerissen worden, rückt der Elektro-Pionier und Petrolhead die Perspektive zurecht. Außerdem hätten die elektrischen Hypercars wie der Nevera die Zielgruppe erweitert und sprächen neben den klassischen Vollgasfreunden auch Menschen an, die sich weniger für Autos als für die neueste Technik begeistern, heißt es in Zagreb: Nerds aus der Softwarebranche zum Beispiel seien für elektrische Supersportwagen viel empfänglicher als für jeden noch so leidenschaftlichen Zwölfzylinder, genau wie die Jung-Milliardäre etwa aus China. Doch all das kann nicht über eine gewisse Kaufzurückhaltung hinwegtäuschen. Gerade jetzt, wo E-Modelle en vogue sind, wollen viele Superreiche bewusst etwas anderes und halten deshalb noch stärker am Verbrenner fest.
Das ist nicht neu, sagt Frank Wilke, der für Classic Analytics in Bochum den Oldtimermarkt beobachtet: „Seit über 50 Jahren gibt es Quarzuhren, die eigentlich alles besser können als mechanische Uhren und darüber hinaus deutlich preiswerter sind. Aber gesammelt werden seit jeher fast ausschließlich mechanische Uhren. Und je komplizierter sie sind, desto teurer werden sie gehandelt.“
Bei Autos sei das ganz ähnlich, sagt der Oldtimer-Analyst. „Schon beim ersten Blick auf den W16-Motor versteht ein Bugatti-Interessent, wie aufwändig es sein muss, einen solchen Motor zu konstruieren und herzustellen. Aber beim Blick auf einen Elektromotor bleibt aber immer der Verdacht, dass jeder chinesische Billighersteller so etwas auch könnte.“ Außerdem fehlt dem E-Motor der Sound, und der war und ist bei einem Sportwagen seit jeher ein prägendes Element.
Untermalt werden diese Bedenken natürlich durch die Ungewissheit, wie es um die Langzeithaltbarkeit und Funktionsfähigkeit von diesen Computern auf Rädern bestellt ist. Die Mona Lisa verzücke auch noch nach Jahrhunderten, ein Edelstein verliert nie seinen Glanz und ein Immobile nur selten an Wert. Aber ob ein Elektroauto in 30, 50 oder gar 100 Jahren noch fährt wie heute ein Bugatti Royale von 1927, das könne niemand sicher sagen. Wer allerdings mehr in ein Auto investiert als die meisten in eine Immobile, für den sei das eine berechtigte Frage. Und dann bleibt immer noch die Sache mit Geschmack und Stil und mit der Ästhetik des Autos: Wer will schon eine Mona Lisa in Neonfarben?
Analyst Jan Burgard, Partner & Managing Director, Global Co-Leader Automotive & Industrials beim Strategieberater AlixPartners, will sich von diesem Pessimismus nicht anstecken lassen und hält die Beobachtung, dass Superreiche nicht an Elektromobilität interessiert seien, für einen Trugschluss: „Es hängt teilweise schlichtweg am fehlenden Angebot in diesem Segment“, sagt Burgard. Denn von Kleinstserien wie dem Nevera und seinem Schwestermodell Pininfarina Battista abgesehen sei aktuell der Rolls-Royce Spectre für 390.000 Euro das einzige Auto, das für diese Zielgruppe in Frage kommt.
Je mehr Super-Elektroautos angeboten würden, desto mehr würden auch gekauft, ist er überzeugt: „Dabei spielt in vielen Fällen weniger der Antrieb eine Rolle als die Marke, die Historie und der Preis.“ Und da gelte: je teurer, desto besser. Denn so taugt der Preis als Unterscheidungsmerkmal und der Super-Luxus-Stromer wird zum ultimativen Statussymbol.
Wenn Burgard recht hat, dann wird sich der Markt bald entwickeln. Denn aller Zurückhaltung der oberen Zehntausend zum Trotz können und wollen sich die Edelmarken der Elektrifizierung nicht verschließen: Die VW-Töchter Bentley und Lamborghini arbeiten deshalb längst an ihren ersten Stromern und selbst Ferrari hat gerade erst sein neues E-Building eingeweiht, in dem wohl ab Ende nächsten Jahres das erste Elektroauto im Zeichen des Cavallo Rampante produziert werden soll. Und wenn die Gerüchte stimmen und der E-Ferrari wirklich 500.000 Euro kosten soll, dann sind Burghards Kriterien ja erfüllt.
Stehen also doch alle Zeichen auf E? Nicht ganz. Denn gerade das Super-Luxussegment lebt von ein paar Marken, neben denen selbst Rolls-Royce oder Ferrari noch Massenherstellern sind, von Lamborghini, Bentley oder Aston Martin ganz zu schweigen. Und da sieht die Sache dann schon wieder ganz anders aus. Ja, auch der neue Bugatti Tourbillon kann mit seinem Plug-in-Hybrid sei Dank ein paar Kilometer rein elektrisch fahren. Doch was dem 4,5 Millionen Euro teuren Überflieger eigentlich ausmacht, das ist ein komplett neu entwickelter V16-Sauger mit 8,3 Litern Hubraum und 1.000 PS, wie es ihn so noch nie gegeben hat. Genau wie mit den analogen Instrumenten im Stil Schweizer Luxusuhren macht sich Firmenchef Mate Rimac, als Vater des ersten elektrischen Super-Sportwagens Nevera ganz sicher kein ewig Gestriger, damit stark für einen Trend hin zu mehr Handwerklichkeit und Authentizität. So, wie in einer kleinen, feinen Nische für horrende Preise wieder Plattenspieler verkauft werden, Spiegelreflex- oder gar Mittelformatkameras und natürlich mechanische Uhren, so sehen die Sehr-Viel-Besser-Verdiener einen Motor eben nicht nur als Kraft-, sondern als Kunstwerk – was bei einer E-Maschine vergleichsweise schwer fallen dürfte. Da wären wir dann wieder bei der Mona Lisa und den Neon-Farben.
Ja, auch wir können uns der Elektrifizierung nicht ganz verschließen, sagt denn auch Christian Koenigsegg, der in Schweden den Supersportwagen wie den Jesko mit 1.600 PS baut und einen Geschwindigkeitsrekord nach dem anderen bricht. Aber während er mit Hybrid-Bausteinen die Minimalanforderungen an Political Correctness erfüllt, für Ruhe in der Nachbarschaft sorgt und das Gewissen seiner Kunden beruhigt, predigt er die maximale Mechanisierung in einer Zeit, in der viel zu viel digital sei.
Und zumindest in der Liga, in der seine Autos unterwegs seien, ergebe ein Stromer auch gar keinen Sinn. Denn der CO2-Rucksack aus der Produktion der Batterien sei so groß, dass der E-Antrieb bei der geringen Laufleistung von Supersportwagen nie und nimmer seinen CO2-Vorteil herausfahren könne. Erst recht nicht, wenn man die Autos dann auch noch mit E-Fuel betreibe. Allen, denen das nicht genug ist, macht Koenigsegg Hoffnung auf eine bald noch bessere Bilanz: „Wir arbeiten an einem Treibstoff, der sogar CO2-negativ ist.“ Der werde zwar erstmal ein Vermögen kosten. Aber dann könne man mit jedem Kilometer in einem Koenigsegg einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten – und sein Elektroauto erst recht stehen lassen.
Dieser Beitrag stammt von Benjamin Bessinger, Redakteur für das Redaktionsbüro SPS Spotpress Services GmbH.