Goodwood Festival of Speed: Von klassisch bis elektrisch
Lesezeit 5 Min. Auch in diesem Jahr haben PS-starke Verbrennungsmotoren aus über 110 Jahren Motorsport-Geschichte mehr als 200.000 Motorsport-Enthusiasten in den Schlosspark von Goodwood gelockt. Doch neben den traditionellen Rennwettbewerben spielen auch emissionsfreie Kraftprotze eine immer größere Rolle auf dieser motorisierten Gartenparty. Lediglich Naturgewalten zeigen uns, dass jede Form von Mobilität ihre Grenzen hat.
SP-X/Goodwood. So viel Speed hat sich der 11. Herzog of Richmond denn doch nicht gewünscht: Donnerstag Hochsommersonne, Freitag Starkregen – und am Samstag Orkanböen. Da muss an diesem Tag sein Festival of Speed in Goodwood für die 200.000 Besucherinnen und Besucher wegen Verletzungsgefahr durch fliegende Zelte, Äste oder Videowände gestrichen werden. Erst am Sonntag ist wieder Sommer wie aus einem britischen Countryside-Bilderbuch.
Wetterkapriolen oder doch schon Klimawandel?
Ob das noch typisch englisches Juli-Wetter ist? Oder doch ein weiterer Beleg für den Klimawandel und seine Folgen? Auf jeden Fall hat diese Entwicklung erkennbar auch ihre Auswirkungen auf die größte motorisierte Gartenparty der Welt – nicht nur, weil sie 2023 zwei Tage lang so oder so ins Wasser fällt. An den anderen Tagen ist nämlich ebenfalls zu sehen, dass auch in der Hochgeschwindigkeitswelt die Transformation im Gange ist.
Goodwood und die Formel 1
Die Königsklasse sieht Charles Henry Gordon-Lennox, wie der Herzog mit bürgerlichem Namen heißt, dabei als Vorreiter: „Mit Blick auf die nächsten 75 Jahre Motorsport in Goodwood wird die Zukunft der Formel 1 eine große Rolle spielen. Wir alle versuchen ja, die Leidenschaft des Sports zu bewahren, aber auch in die nächste Phase der Innovation und der Rolle alternativer Kraftstoffe einzutreten.“ Mit E-Fuels fahren schon einige betagte Boliden; und auch ein Jubilar wäre damit klimaneutral unterwegs, der in diesem Jahr in Goodwood besonders gefeiert wird: Porsches 356, der 1948 das Licht der Welt erblickte. Dass davon Exemplar Nummer eins noch zur Ausfahrt bereitsteht, ist ja ohnehin schon Beleg für echte Nachhaltigkeit.
Porsche als Ehrengast
Auch die Marke Porsche selbst lässt sich zum 75. als Ehrengast in Goodwood feiern – und hat das Erstlingswerk mitgebracht: Leichtbau drückt den ersten 356 auf nur 585 Kilo. Auf dem Papier und nach heutigen Maßstäben sind Beschleunigung und Geschwindigkeit des 1,1-Liter-Mittelmotors mit seinen 35 PS zwar bescheiden. Aber so nah über dem Asphalt den Naturgewalten hinter dem Roadster-Frontscheibchen ausgesetzt, empfindet jeder Fahrer das Höchsttempo 135 als raketenmäßig rasant. In Nummer eins lässt sich zwar das unsynchronisierte Vierganggetriebe auch mit den feingliedrigsten Kuppel-Künsten trotz Zwischengas und Doppeltritt nur mit unschönem Knirschen in Gang halten. Aber der Mittelmotor direkt hinter den Stühlchen für die zwei Passagiere schiebt willig an – und fungiert im wechselhaft-frischen Briten-Sommer stets als eingebaute Sitzheizung.
Speed elektrisiert
Seine 356-Nachfahren – alle mit Boxer im Heck – wurden fast 20 Jahre gebaut; selbst, als längst der Nachfolger 911 auf den Straßen und Rennstrecken Erfolge feierte. Von dem und seinen Ablegern und Weiterentwicklungen ist in Goodwood ein breiter Strauß zu sehen, zusätzlich zu Rallye- oder LeMans-Legenden. Und natürlich zeigen die Zuffenhausener dort auch den vollelektrischen Taycan oder die einmalige „Vision 357 Speedster“: Elektromotoren- und Batterie-Technologie stammen dabei vom Mission R und das Chassis vom 718 GT4 Clubsport. Speed elektrisiert eben einfach.
Aufbruch ins emissionsfreie Spaß-Zeitalter
Und das nicht nur bei Porsche. Die ganze Bandbreite der emissionsfreien Zukunft ist etwa bei den Exponaten von Hyundai zu sehen: Neben der Weltpremiere des Ioniq 5 N zeigen die Koreaner noch ihre rein batterieelektrische Rennwagenstudie RN22e und das Entwicklungsfahrzeug N Vision 74 mit einem Wasserstoff-Plug-in-Hybridantrieb. Und zahlreiche weitere Marken belegen neben ihren historischen Verbrenner-Boliden den Aufbruch ins emissionsfreie Spaß-Zeitalter: Vom Alpine A290_β über den BMW i5 bis zum exzentrischen Caterham Electric Seven, vom Genesis GV80 Coupé Concept über den futuristischen HiPhi Z bis zum kleinen Mini Aceman-Concept, vom hochgezüchteten MG4 XPower bis zum Rolls Royce Spectre: Auf der Electric Avenue und dem „First Glance Paddock“ zeigen Hersteller ihre neuesten Elektro-Modelle meist in großen, zweistöckigen Präsentationsständen, wie sie so auf kaum einer Messe mehr zu sehen sind – wenn die Marken denn dort überhaupt noch hingehen. In Goodwood geht es großzügig zu: Prospekte, Fähnchen und manchmal gar ein Shortbread mit Gratis-Tee inklusive. In der Autowelt im Wandel wollen schließlich die Kunden neu umworben werden; das geht auf einem Festival augenscheinlich besser als in einer klassischen Ausstellung.
Jochen Maas, Jenson Button, Mika Häkkinen und Emerson Fittipaldi
Jonas aus Hamburg zieht es aber nicht zu den elektrischen Neuheiten – aus mehreren Gründen: „Ich mag es laut und rieche gerne Sprit“, sagt der Unternehmer. Die Erderwärmung sei sowieso eher nicht sein Thema – erst recht, nachdem ihm Klimakleber auf der Startbahn am Donnerstag seinen Flug nach London vermasselt haben. Jetzt steht der bullige Mittvierziger selig am 1,87 Kilometer langen Hillclimb. Dort schießen Renn- und Sportwagen aus mehr als 100 Jahren in atemberaubender Geschwindigkeit durch die kaum zwei Kutschen schmalen Alleen des hügeligen Kurses; immer mit dem Ziel, den Anstieg hoch zum Goodwood House möglichst schnell zu meistern. Die Besten schaffen es deutlich unter 50 Sekunden. Am Steuer sitzen stolze Besitzer, aber auch in diesem Jahr wieder berühmte Piloten wie Jochen Maas, Jenson Button, Mika Häkkinen oder Emerson Fittipaldi. Und Ohrstöpsel können zumindest bei längerem Aufenthalt hinter den anderthalb Meter tief im Boden verankerten Strohballen nicht schaden. Auch wegen des Jubels Tausender Zuschauer an der Strecke.
Formel-1-Rennwagen
Die aktuellen Formel-1-Rennwagen von McLaren, Mercedes, Ferrari oder Williams gehören für Jonas wie alle Petrolheads sowieso zum Pflicht-Vergnügen in Goodwood. So nah kommen selbst die VIPs bei einem Renn-Wochenende den Fahrzeugen und ihren Piloten nie. Wenn Mick Schumacher in das Weltmeister-Auto seines Vaters steigt und eine schnelle Runde dreht, dann kennt die Begeisterung keine Grenzen. Der MGP W02 von 2011 ist mit seiner 95 Kilo Karbon-Kohlefaser-Kreation leichter als Jonas. Und 18.000 Umdrehungen pro Minute aus dem Achtzylinder erfüllen eindeutig auch die akustischen Ansprüche PS-begeisterter Besucher. Man muss sich nicht unterhalten, um unterhalten zu werden.
Motorsport-Wettbewerbe
Für die gepflegten Gespräche gibt es ja am Sonntag auch wieder den abgetrockneten Rasen vor dem Landsitz des Herzogs. Im Schatten der himmelaufwärts ragenden Skulptur mit fünf klassischen Porsches schmecken Bratwurst (neun Euro!), Erdbeeren, Hummer, Sandwiches, Champagner oder Bier besonders gut, die Strecke stets mit einem Auge im Blick. Und wer ein wenig Waldluft riechen möchte, steigt Richtung Rallye-Piste aufwärts. Neben dem Kiefernduft gibt es dort natürlich ebenfalls reichlich Speed. In Goodwood bekommen eben fast alle Motorsport-Wettbewerbe eine zweite Heimat.
Die neusten Boliden für Speed-Fans
Klassiker wie der Ford GT 40, der Aston Martin DB5 oder der Ariel Atom sind natürlich unverkäuflich. Aber wer sich selbst ein Supercar zulegen möchte, kann sich im gleichnamigen Paddock inspirieren lassen. Dieses Jahr gibt es dort etwa den brandneuen 718 Spyder RS von Porsche zu sehen, den Koenigsegg Regera, AMG One und viele Traumwagen für Fans auf Speed.
Sturm und Regen
Zum Runterkommen vom Geschwindigkeitsrausch hat Goodwood am Ende aller Veranstaltungstage eine eingebaute Entschleunigung: Die Edel-Fans, sofern nicht mit dem eigenen Hubschrauber angereist, müssen sich nämlich genauso über die engen Sträßchen im Stop and Go wieder ins alltägliche Leben quälen wie alle anderen Besucher. Und wer noch ein bisschen länger das Landleben auf dem Anwesen des Duke genießt, der hat dazu nicht selten eine halbe Stunde Fußmarsch vor sich: zu einem der Zeltplätze rund um Goodwood House. Hoffentlich nicht wieder bei Sturm und Regen.