Fünf aussergewöhnliche Shooting Brakes: Wenn Coupé auf Kombi trifft
Lesezeit 8 Min. Wenn sportliche Coupés mit praktischen Kombis verschmelzen, entsteht eine besonders eigenwillige Karosserieform: der Shooting Brake. Der neu vorgestellte BMW Speedtop ist das jüngste Beispiel dieses seltenen Genres. Nicht immer schön, aber fast immer selten – und deshalb Kult. Wir stellen fünf bemerkenswerte Modelle vor.
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SP-X/Köln. Natürlich waren es mal wieder die Engländer. Denn wenn man den Ursprung von Kuriositäten sucht, landet man ja gerne mal auf der Insel – erst recht bei Autos. Deshalb haben wir den Briten nicht nur den Mini zu verdanken, den Rechtslenker, den Threewheeler oder den Regenschirm in der Tür des Rolls-Royce, sondern auch den Shooting Break – jene eigenartige Mischung aus Kombi und Coupé, die weder wirklich schön und schnell ist noch besonders praktisch oder variabel, sondern eigentlich nur kurios und auffällig. Aber genau das reicht offenbar aus für den Fortbestand der Karosserieform. Schließlich gibt es noch immer ein paar Auto-Afficionados, die sich nach etwas mehr Eigensinn im Einerlei der CrossOver, der SUV und der konventionellen Sportwagen sehnen und dafür gerne auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Und es gibt ein paar Autohersteller, die diese Bedürfnisse befriedigen und sich dafür gut bezahlen lassen.
Nische in der Nobelliga
Was laut Wikipedia mal als Kutsche begonnen hat, die für das „Brechen“ (to break) widerspenstiger Pferde genutzt und aus Angst vor Schäden nur mit kleinem Aufbau und leichtem Gepäck etwa für den Jagdausflug (daher das „Shooting“) genutzt wurde, und sich dann in den 1960ern und 1970ern von England aus zu einem breiten Trend entwickelte, ist deshalb heute eine ganz eigene Nische in der Nobelliga, die regelmäßig mit neuen Kleinserien offengehalten wird. Das gerade auf der Villa d’Este am Comer See enthüllte BMW Concept Speedtop ist deshalb kein Einzelfall. Fünf Beispiele.
BMW Concept Skytop: Turnschuh trifft Budapester
Bei BMW hat der Shooting Break spätestens seit dem Z3 Coupe einen legendären Ruf. Bei der Premiere 1997 noch ein Exot, ist der zum „Turnschuh“ titulierte Zweisitzer mittlerweile ein begehrtes Sammlerstück – und bekommt jetzt einen edlen Nachfolger. Denn zur Villa d’Este am Comer See haben die Bayern in Fortschreibung des Roadsters Skytop aus dem letzten Jahr heuer das Concept Speedtop präsentiert und davon bereits eine Kleinserie in Aussicht gestellt. Statt eines schwitzigen Sneakers stand diesmal allerdings ein rahmengenähter Budapester Pate. Schließlich bildet die Basis für den ebenfalls auf zwei Sitze und zwei Türen reduzierten, nun ja, Touring, der Achter und die Ausstattung aus der Manufakturwerkstatt der Fabrik in Dingolfing ist vom allerfeinsten. Die Bayern bauen ihren aktuell stärksten Achtzylinder aus dem M8 Competition ein und locken die eilige Elite mit 4,4 Litern Hubraum und 625 PS. War das Z3 Coupé mit 12.000 Einheiten in vier Jahren für BMW-Verhältnisse schon Exot, wird sein edler Erbe allerdings noch exklusiver. Mehr als 70 Exemplare, immerhin 20 mehr als vom Skytop, will BMW nicht bauen. Umgekehrt proportional zur Stückzahl allerdings wird der Preis: Unter 500.000 Euro wird es kaum gehen. Netto natürlich.
Brabus Rocket GTS: Heckklappe statt Flügeltüren
Zur Legende gemacht haben ihn einst seine Flügeltüren. Doch zwischen Luxus und Leistung aufgerieben, ist der Mercedes SL in über siebzig Jahren mittlerweile ein ziemlich gewöhnlicher Sportwagen für vorzugsweise ältere Semester mit breiten Hüften und dickem Konto geworden, nach dem sich selbst seit der Rückkehr des Stoffdachs kaum mehr einer umdreht. Es sei denn, der Zwei-Plus-Ein-Bisschen-Was-Sitzer macht einen Umweg über Bottrop und wird bei Brabus für ganz und gar unbescheidene 940.000 Euro zum „Rocket GTS“. Dann gibt’s nämlich nicht nur unerreichte 1.000 PS für den AMG-Antrieb mit seinem eigenwilligen V8-Plug-in-Hybrid, sondern eine komplett neue Karosse, die den SL tatsächlich wieder zum Hingucker macht. Zwar ohne Flügeltüren, dafür aber mit der großen Heckklappe eines Kombis. Damit wird der GTS tatsächlich zu einem Shooting Break, wie ihn uns die Viertürer beim seligen CLS und beim aktuellen CLA nur vorgaukeln wollen. Und statt kaum mehr mitnehmen zu können als die Zahnbürste und die Kreditkarte, schluckt er nun tatsächlich das gesamte Urlaubsgepäck – natürlich in maßgeschneiderten Taschen und Koffern.
Aston Martin Vanquish Zagato: Sie tun es immer wieder
Mit dem DB5 Shooting Break waren sie in den 1960ern einer der Trendsetter. Kein Wunder also, das Aston Martin die Idee vom zweitürigen Kombi immer wieder aufgegriffen hat. Zuletzt zum Beispiel 2019 beim legendären Vanquish, dem der italienische Karosseriebauer Zagato mit dem Segen der Briten ein neues, spektakulär geschnittenes Heck verpasst hat – große Klappe und turbinengleiche Rückleuchten inklusive. Angetrieben von einem 584 PS starken V12-Motor wurde der elegante Schnelltransporter nur 99 Mal gebaut und wird heute entsprechend hoch gehandelt: Wenn mal eines der Sammlerstücke verkauft wird, ist der Preis nicht selten siebenstellig.
Ferrari FF: Rennpferd trifft Lastesel
Italiener haben ein Herz für die Familie, selbst wenn sie bei Ferrari arbeiten. Deshalb kommen aus Maranello nicht nur spektakuläre Sportwagen, sondern immer mal wieder auch mehr oder minder alltagstaugliche Viersitzer. Eines der populärsten Beispiele war der FF, der 2011 den 612 Scaglietti beerbt hat. Denn aus dem leidenschaftlichen Coupé ist unter der Hand von Altmeister Pininfarina ein Shooting Break geworden, der sich seinen ganz eigenen Platz zwischen Kombi und Coupé gesucht hat. Immerhin bot er vier halbwegs vollwertige Sitz und mit 450 Litern Stauraum, einer umklappbaren Rückbank und dann stolzen 800 Litern Fassungsvermögen mehr Alltagsnutzen als damals etwa ein Porsche 911. Obwohl die Italiener bis dahin noch nie so viel Wert auf Variabilität und Alltagstauglichkeit gelegt hatten, haben sie ihre alten Tugenden beim FF, aus dem mit dem Facelift 2016 der GTC4 Lusso wurde, nicht vergessen. Der FF war deshalb nicht der geräumigste, sondern mit seinem 6,3 Liter großen und 660 PS starken V12 auch der potenteste Viersitzer in der Firmengeschichte. Zumindest bis zur Premiere des Purosangue, der als erstes SUV der Marke den Tabubruch von einst in der Rückschau als Petitesse erscheinen lässt.
Volvo P1800 ES: In Schönheit entschlafen
Volvo galt lange Zeit als die Kombimarke schlechthin. Doch bevor die Schweden mit kantigen Raumwundern wie dem 940 Ikea-Kunden und langzeiturlaubende Studienräte glücklich machen wollten, haben sie mit dem P1800 ES ab 1972 erst einmal die eiligen Ästheten bedient: Schlank und schnittig gezeichnet und hinten ohne störende Streben großzügig verglast, wurde der Wagen im Volksmund schnell zum „Schneewittchensarg“. Anders als später die Praktiker und Sicherheitsfanatiker hatten die Entwickler um Designchef Jan Wilsgaard damals allem als den Spaßfaktor im Sinn. Deshalb lobte Volvo in der Pressemappe zur Premiere den Wagen als „Fastback Coupé“ und sprach vom „Styling eines Sportwagens“, ließ aber „den Nutzwert eines Kombis“ trotzdem nicht unerwähnt. Heute ist der Schneewittchensarg nicht nur Inspiration für die Designer sportlicher Kombi-Modelle abseits von Kisten und Koffern. Sondern er gilt bei Oldtimer-Rallyes, in Museen und bei Sammlertreffen als gern gesehener Klassiker. Zu ihrer Zeit allerdings hielt sich die Begeisterung für die gesamte 1800er-Baureihe bei Volvo in engen Grenzen. Schon das ES-Modell wurde aus der Not geboren und dem 1961 eingeführten Coupé zur Seite gestellt, um den stockenden Absatz anzukurbeln. In Amerika wurde der 1800 ES so zum Happy End und hat dem schnittigen Schweden seinen Kultstatus gesichert. Aber im Rest der Welt wollten weder vom Coupé noch vom Kombi viele etwas wissen. Deshalb wurde die Produktion des Zweitürers schon 1972 und die des Fastbacks ein Jahr später eingestellt. So ist Schneewittchen und mit ihm die Idee vom Shooting Break sanft entschlafen, bis ein Designer mal wieder Gefallen daran findet.