Fahrbericht: Fantic Caballero 700
Lesezeit 4 Min. Fantic legt die Cabellero neu auf – größer, stärker, teurer als ihr Ur-Ahn. Das klappt mit bewährter Technik aus Japan.
SP-X/Venedig. Die Älteren werden sich erinnern: In den Siebziger und Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts sorgte die Caballero des italienischen Motorradherstellers Fantic für Aufsehen, die Fünfziger-Enduro wurde zur Freiheitsikone für die junge Generation. An diese Geschichte knüpft der erfolgreich wiederbelebte Hersteller bereits seit einiger Zeit an, doch jetzt ist den Norditalienern ein großer Wurf gelungen: Für ihr neues Flaggschiff, die Caballero 700, bekommen sie den CP2-Zweizylinder des japanischen Zweiradgiganten Yamaha zur Verfügung gestellt. Mithin das Aggregat, das auch die famose Ténéré, die MT-07 und die Tracer 7 antreibt.
Puristische Ausstrahlung
Doch die 10.000 Euro teure Caballero 700 ist aus ganz anderem Holz geschnitzt als ihre japanischen Geschwister, das sieht man dem italienischen Edelmann auf den ersten Blick an: Der Mix aus traditionellen Stilelementen und modernen Beigaben wirkt harmonisch und unterstreicht die puristische Ausstrahlung. Zum hochgezogenen Doppelschalldämpfer auf der rechten Seite, Speichenrädern mit groben Pneus und dem langen Tank gesellen sich schicke gefräste Gabelbrücken und Fußrastenplatten, eine goldene Upside-Down-Gabel und eine Kohlefaserabdeckung für die Auspuffanlage.
Scrambler-Feeling
Beim Platznehmen kommt typisches Scrambler-Feeling in der geraden Sitzbank in 83 Zentimetern Höhe auf. Beide Beine gelangen dank der schlanken Taille sicher auf den Boden, die extrem breite, konifizierte Lenkstange zwingt zu einer leichten Vorlage des aufrechten Oberkörpers bei lässigen Kniewinkeln. Vor dem fleischigen Lenker informiert ein puristisches rundes Farb-TFT-Display bestens ablesbar über alles Notwendige, Überflüssiges hat hier keinen Platz.
Erster Zweizylinder von Caballero
Wird der erste Zweizylinder der Caballero-Historie gezündet, erfüllt angenehm grollender, jedoch keineswegs aggressiver Sound die Luft. Darüber hinaus lässt die Fantic-Arbeit an Airbox, Auspuffanlage und Ansaugsystem den Caballero-Yamaha-Twin gefühlt spontaner reagieren als seine Japan-Kumpels. Das macht ihn beim Gasanlegen bisweilen etwas ruppig, doch unten herum und in der Mitte produziert der konstruktiv identische Antrieb mehr Druck, ohne dass ihm oben heraus die Luft ausgehen würde. Die Bedienung des gut abgestuften Sechsganggetriebes fordert auf Dauer die Unterarmmuskeln, auch der Gasgriff könnte leichtgängiger sein.
Elektronikpaket
Mit ihren 74 PS ist die Fantic im engen Winkelwerk der Prosecco-Hügel fast schon übermotorisiert, etwaige fahrerische Ungereimtheiten bügelt das neue Elektronikpaket effektiv und feinfühlig aus. Hier stehen der Caballero drei Fahrprogramme zur Verfügung, die den Eingriff der schräglagenfähigen Traktionskontrolle und des Kurven-ABS steuern: Während in „Street“ alle Systeme scharf sind, ist bei „Offroad“ das ABS hinten und die Traktionskontrolle deaktiviert, in „Custom“ lassen sich alle Parameter nach eigenem Gusto einstellen. Auswirkungen auf den fein dosierbaren Motorcharakter hat die Moduswahl indes keine.
Solides Fahrwerk
Auf den mitunter arg ramponierten Fahrbahnoberflächen zwischen Venedig und Dolomiten sieht sich das solide Fahrwerk mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Der Gitterrohr-Brückenrahmen um den Motor nimmt vorn eine kräftige 45er-Marzocchi-Gabel auf, die nicht nur gut aussieht, sondern auch sehr anständig die ausgewaschenen Rinnen und Schlaglöcher verarbeitet. Hinten kümmert sich ein Zentralfederbein vom gleichen Hersteller um die Radführung, in der Vorspannung einstellbar aber nicht ganz so feinfühlig wie die Front. Mit 15 cm Federweg vorn und hinten ergibt sich ein angenehmer, aber alles andere als sänftenartiger Komfort.
Auch für sportive Ansprüche
Damit erfüllt die Caballero trotz fehlender Einstellmöglichkeiten auch sportive Ansprüche. Mühelos lassen sich ihre 175 Kilo – ohne Sprit wohlgemerkt – über den breiten Lenker sehr exakt auf Kurs bringen und halten. Unterstützend wirken die aufgezogenen Pirelli Scorpion Rally STR, die trotz des groben Profils auch bei Nässe enorm haftfreudig und neutral abrollen. Den unprätentiösen Landstraßenvortrag komplettieren zuverlässige BremboStopper mit guter Dosierbarkeit und das spät, sanft regelnde Conti-ABS.
Harmonisches Fahrerlebnis
Mit der neuen Caballero 700 zitieren die FanticMacher glaubhaft ihre eigene Vergangenheit, fügen dem puristischen ScramblerGedanken aber einen gewaltigen Schuss Zeitgeist und ein ganz neues Dynamik-Niveau hinzu. Die angepasste CP2-Motorenpower und moderne Elektronikausstattung schaffen mit feinen Komponenten ein harmonisches Fahrerlebnis, wertige Details und die gute Verarbeitung rechtfertigen den Preis von 9.990 Euro – ab Juni in geringer Stückzahl zu haben.
Technische Daten und Ausstattung Fantic Caballero 700:
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Viertakt-Zweizylindermotor, 689 ccm Hubraum, 54,4 kW/74 PS bei 9.000 U/min, max. Drehmoment 70 Nm bei 6.500 U/min; vier Ventile/Zylinder, dohc, eine Ausgleichswelle, Einspritzung, Sechsganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Gitterrohr-Brückenrahmen; 4,5 cm USD-Telegabel vorne (nicht einstellbar), 15 cm Federweg; LM-Zweiarmschwinge hinten, Zentralfederbein (Vorspannung einstellbar), Federweg 15 cm; Drahtspeichenräder; Reifen 110/80 R19 (vorne) und 150/70 R17 (hinten). 32 cm Einscheibenbremse vorne, 24,5 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: Kurven-ABS, Kurven-Traktionskontrolle, beides abschaltbar
Maße und Gewichte: Radstand 1,460 m, Sitzhöhe 83 cm, Gewicht fahrfertig ohne Benzin 175 kg; Tankinhalt 13,0 l
Fahrleistungen und Verbrauch (Herstellerangaben): Höchstgeschwindigkeit 192 km/h, 4,4 l/100 km
Preis: 9.990 Euro