Die Messe Auto Shanghai 2023 zeigt eindrücklich, China ist auf der Überholspur
Lesezeit 5 Min. Einst fuhren deutsche Autohersteller auf Messen in China mächtig auf. Doch die Premierenshow von VW, BMW und Mercedes in Shanghai mutet bescheiden an, auch angesichts der massiven Flut neuer Modelle aus China, die in großer Zahl auch nach Europa kommen sollen.
SP-X/Köln. Die Auto Shanghai, einst lokale Kuriositätenshow, hat in wenigen Jahren einen kometenhaften Aufstieg zum internationalen Mekka der Autoindustrie vollzogen. In ihrer aktuell 20sten Ausgabe, die noch bis 27. April stattfindet, lassen die chinesischen Hersteller mehr als je zuvor die Muskeln spielen. Schon längst werden nicht mehr nur Skurrilitäten und billig gemachte Klone allein für den Heimatmarkt gezeigt. Viele der Neuheiten aus Fernost drängen mittlerweile auch nach Deutschland. Und hier, vor allem aber im weltgrößten Automarkt China selbst, deutet sich mehr denn je an, dass mit dem Expansionshunger der Chinesen die Karten um die Marktanteile der großen Autokonzerne in den wichtigen Märkten der Welt neu gemischt werden dürften. Die Anzeichen mehren sich, dass sich damit auch ein Ende der goldenen Zeiten für die über Jahrzehnte erfolgsverwöhnte deutsche Autoindustrie vor allem in China anbahnen dürfte.
24 Millionen Pkw-Verkäufe in China 2023
Zu diesem Fazit kommt zumindest Ferdinand Dudenhöffer in einer anlässlich der Auto Shanghai veröffentlichten Analyse. Darin prognostiziert der Autoexperte für das aktuelle Jahr einen um 3 Prozent auf 24 Millionen Pkw-Verkäufe wachsenden Automarkt in China, was in etwa dem Gesamtvolumen der Märkte EU und USA zusammen entspricht. In dem für die Autoindustrie entsprechend wichtigen chinesischen Markt sieht Dudenhöffer die deutschen Hersteller aktuell zunehmend ins Hintertreffen geraten, vor allem auch, weil ihr Angebot im stark wachsenden Markt der E-Autos nicht mit den Modellen von Tesla und den vielen chinesischen Hersteller konkurrieren kann.
Jedes vierte Auto mit Elektromotor
Autos mit E-Antrieb machen mittlerweile jedoch mehr als ein Viertel des Pkw-Absatzes in China aus. Tendenz stark steigend. „New Energy Vehicle werden mehr und mehr zur Domäne von Tesla und den Chinesen“, so Dudenhöffer. Seiner Ansicht nach punkten dabei die Autos chinesischer Hersteller vor allem mit besseren Kosten- und Preiswertverhältnissen sowie mit intelligenten Cockpits und Fahrfunktionen, welche Kunden in China lieben. Um hier künftig mithalten zu können, bräuchten die westlichen Autobauer und die Deutschen nach Ansicht Dudenhöffers andere Fahrzeugkonzepte als ihre heutigen BEV und PHEV in China.
Deutsche Autobauer unter Druck
Auch Stefan Bratzel, Direktor des Marktanalyseinstituts Center of Automotive Management (CAM), prognostiziert, dass die aktuellen Entwicklungen in China für deutsche Hersteller zum Problem werden könnten. Vor allem auch aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit vom chinesischen Markt, denn die Chinaverkäufe am Gesamtabsatz betrugen 2022 bei VW 40, bei Mercedes-Benz 36,8 und bei BMW 33 Prozent. Am Markthochlauf der E-Mobilität in China partizipieren die deutschen Hersteller hingegen noch unterdurchschnittlich, so Bratzel. Führend waren 2022 hingegen die Konzerne BYD und SAIC mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent am chinesischen BEV-Markt, während die VW Group auf lediglich 3,1 % kam. „Insgesamt können die deutschen Hersteller ihre historisch starke Stellung in China im Zukunftsfeld der reinen Elektromobilität bislang nicht halten“, resümiert der Automarktexperte. Hinzu käme ein von Tesla eingeleiteter Preiskampf, in dessen Zuge die Gewinnmargen deutscher Hersteller weiter schrumpfen dürften, was vor allem Volumenhersteller wie VW stärker als Premiummarken wie Mercedes und BMW treffen dürfte.
Automarken aus China steigen auch in Europa sprunghaft an
Doch nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in Deutschland und Europa treten chinesische Hersteller zunehmend selbstbewusster und vor allem erfolgreicher auf. Aktuell steigt die Zahl neuer Automarken aus China hierzulande sowie in anderen EU-Märkten sprunghaft an. Ora, Nio, Polestar, Dongfeng, JAC, BAIC, Hongqi, MG Motors, Xpeng, Lynk & Co, BYD, Maxus, Aiways, Smart, GWM – ihre Liste ist bereits lang. Und sie dürfte länger werden, wie neue Ankündigen auf der Auto Shanghai zeigen. Geely-Ableger Zeekr will Ende 2023 mit den beiden Elektromodellen 001 und dem auf der Auto Shanghai erstmals vorgestellten Kompakt-SUV X zunächst in Schweden und Holland antreten und danach weitere EU-Märkte ins Visier nehmen.
Auch HiPhi kommt nach Europa
HiPhi will noch in diesem Jahr Showrooms in Oslo und München eröffnen und zunächst in Norwegen und Deutschland seine Elektromodelle X und Z zu verkaufen. HiPhi hat mit dem Y in Shanghai zudem eine dritte Baureihe enthüllt, die 2024 ebenfalls nach Europa kommen soll. Zugleich werden in Shanghai einige Elektroneuheiten von bereits in Deutschland etablierten Marken gezeigt. Mit dem Smart #3 und dem Polestar 4 feiern gleich zwei neue SUV-Coupés des Vielmarkenkonzerns Geely ihr Stelldichein, die bereits zeitnah nach Deutschland kommen dürften. Das gilt auch für den mittelgroßen Transporter eDeliver 7 von Maxus oder dem künftigen ID.7-Rivalen Ora Lightning Cat.
BYD
Der Autoriese BYD hat im Vorfeld der Auto Shanghai mit den Modellen Seal und Dolphin zwei weitere Elektroneuheiten für den deutschen Automarkt vorgestellt. Auf der Messe selbst zeigt BYD mit dem Seagull außerdem ein um 10.000 Euro teuren und dennoch reichweitenstarken E-Kleinwagen sowie mit dem Chaser 07 eine Plug-in-Hybrid-Limousine mit 200 Kilometer Reichweite. BYD trifft aktuell den Nerv chinesischer Autokunden besser als jeder andere Hersteller: Obwohl der Konzern keine reinen Verbrennerautos mehr im Angebot hat, ist BYD im ersten Quartal 2023 beim Absatz aller Antriebsarten mit einem Anteil von 11,4 Prozent in seiner Heimat zum Marktführer aufgestiegen. Seit den 80er-Jahren lag stets Volkswagen vorne, die mit 10,4 Prozent auf Rang zwei vor Toyota mit 8,1 Prozent rutschten. Auch diese Zahlen verdeutlichen die Zeitenwende.
MG Motors
Wie erfolgreich die Newcomer aus China hierzulande sein werden, muss sich erst noch zeigen. Doch dass die neuen E-Autos aus China auch bei deutschen Autotestern und Kunden angekommen, belegt unter anderem der aktuelle Erfolg von SAIC mit MG Motors. Fast 15.700 Autos konnte MG vergangenes Jahr in Deutschland absetzen, was einem Plus von über 480 Prozent entspricht. Über 3.800 Autos hat MG bereits in den ersten drei Monaten 2023 verkauft, davon 3.100 reine Elektroautos. Damit sind die Chinesen in die Top Ten der erfolgreichsten E-Automarken hierzulande aufgestiegen und haben sich in dem wichtigen Wachstumsmarkt unter anderem vor Marken wie Skoda, Seat oder Renault geschoben. MG wächst zudem deutlich stärker als der Gesamtmarkt. Und SAIC hat mit MG noch einiges vor. Der Elektro-Roadster MG Cyberster ist nur einer von vielen Hinguckern chinesischer Hersteller auf der Auto Shanghai, der 2024 auch nach Europa kommen soll und die Strahlkraft der Marke MG sicherlich weiter steigern dürfte, zumal der Cyberster als Oben-ohne-Elektrosportwagen ziemlich konkurrenzlos auf dem deutschen Markt sein dürfte.
VW, BMW und Mini
Ganz geschlagen geben sich die deutschen Hersteller in Shanghai allerdings noch lange nicht. Mit dem ID.7 stellt VW eine reichweitenstarke Elektrolimousine der oberen Mittelklasse erstmals in China vor. BMW hat mit dem i7 M70 xDrive sein mit 485 kW/659 PS bislang stärkstes E-Modell im Messegepäck dabei. Außerdem stellt Mini sein erstes Elektrocabriolet vor und gibt mit dem Concept Aceman Ausblick auf ein künftiges Elektro-Crossover-Modell. Angesichts der Neuheiten-Flut der chinesischen Hersteller muten diese Premieren allerdings nicht wie der von Ferdinand Dudenhöffer geforderte Befreiungsschlag an.