Der grosse Roadtrip der Kleinen: „Mini takes the States”
Ausgerechnet im Land der Pick-up-Trucks und XXL-SUV hat der Mini seine vielleicht größte Fan-Gemeinde. Und um zu beweisen, dass auch der Kleine zu Großem fähig ist, startet die alle Jahre wieder zu einem riesigen Roadtrip. So ganz ernst nehmen die „Miniacs“ sich und ihre Autos dabei nicht.
SP-X/Asheville/North Carolina/USA. Die Gäste im Wicked Weed Brewing Pub trauen kaum ihren Augen. Normalerweise liegt die Pick-up-Quote hier auf der Main-Street von Asheville locker bei 50 Prozent. Schließlich sind wir hier in North Carolina und nirgendwo werden im Amerika so viele Pritschenwagen gefahren wie in den Südstaaten. Doch jetzt kommen hier seit bald einer Stunde fast ausschließlich Minis vorbei – und ein Ende dieser Invasion ist nicht in Sicht.

„Grösster Roadtrip aller Zeiten“
Kein Wunder: Es ist endlich wieder „Mini Takes The States“ und auf dem „größten Roadtrip aller Zeiten“ erobert der britische Sonderling das Land der Pritschenwagen und XXL-SUV im Sturm: Hunderte Minis sind jetzt schon seit mehr als einer Woche unterwegs und fahren diesmal auf verschlungenen Nebenstrecken von Waterbury in Vermont nach Spartanburg in South Carolina, wo Konzernmutter BMW ihr größtes Werk hat. Und weil an jedem Zwischenstopp noch ein paar Dutzend oder bisweilen auch mal ein paar hundert lokale Gesinnungsgenossen dazu stoßen, zählen die Veranstalter am Ende über 2.000 Teilnehmer mit bald 1.000 Autos.

Im Straßenbild der USA etabliert
„Keine andere Ausfahrt in den USA ist so groß und mittlerweile auch so bekannt“, sagt der amerikanische Markenchef Mike Peyton und freut sich daran, dass sich der kleine Engländer im Straßenbild der USA etabliert hat. Während in Europa jeder schimpft, dass am Mini eigentlich nur noch der Name so richtig mini ist, verliert sich der Brite dort noch immer im Dickicht der Dickschiffe. Natürlich ist der Mini nicht der einzige Kleinwagen auf dem US-Markt, auch Japaner und Koreaner bespielen die Vier-Meter-Liga, und Smart hat es ebenso halbherzig wie erfolglos sogar mal in der Klasse darunter versucht.

Mini-Manie ausleben
Aber der BMW-Ableger aus Britannien ist der Einzige, der nicht den Verzicht manifestiert, sondern das Vergnügen – und nirgendwo wird das deutlicher als bei dieser Rallye, wo sich die Teilnehmer bereitwillig zum Narren machen, sich verkleiden und ihre Mini-Manie hemmungslos ausleben. Nicht umsonst werden sie von den Zaungästen als „Miniacs“ verspottet, und sind auch noch stolz darauf.

Schnittig durch die Serpentinen
Auf der Tour spielt der Mini viele seiner bekannten Talente aus: Er lockt auf lokalen Rennstrecken mit dem üblichen Go-Cart-Feeling, wuselt durch den Stadtverkehr und beweist Größe auf allerlei Geschicklichkeitsparcours. Vor allem aber macht er auf der Landstraße Laune. Wo die wabbelweich abgestimmten Pick-ups über Traumstraßen wie den Blueridge-Parkway wanken und die Harleys behäbig auf dem Dragons Tail-Trail reiten, sausen die Minis schnittig durch die Serpentinen, lassen lustvoll die Motoren der überraschend präsenten John-Cooper-Works-Modelle brüllen und freuen sich daran, dass sie selbst zum Überholen nicht über die doppelt durchgezogenen Linien fahren müssen, weil es für einen Mini überall eine Lücke gibt. So vergeht die Zeit wie im Flug und der Bilderspeicher im Kopf bekommt mächtig zu tun bei der 1.700 Meilen weiten Reise durch ein rundes Dutzend Bundesstaaten.

Vier Dollar pro Gallone
Natürlich wissen auch die Mini-Fahrer, dass ihr kleiner Freund nicht in jeder Disziplin mit den Chevrolet Suburban oder den Ford F-150s konkurrieren kann, mit denen die Amerikaner sonst so zu ihren geliebten Roadtrips starten. Aber in Zeiten, in denen auch die ansonsten vom niedrigen Ölpreis verwöhnten Amerikaner bei einem Benzinpreis von mehr als vier Dollar pro Gallone über den Wucher an der Zapfsäule klagen, sind die kleinen Vierzylinder aus Oxford plötzlich ziemlich sexy.

Improvisationstalent und gute Laune
Und was dem Mini an Platzangebot und Langstreckenkomfort fehlt, machen die Teilnehmer mit Improvisationstalent und guter Laune wieder wett: Entweder sie schnallen Dachträger auf ihren Countryman oder hängen einen Wohnwagen dran, oder sie üben sich in Bescheidenheit: „Warum den ganzen Hausstand mit auf einen Roadtrip nehmen,“ sagt Nik Miles, der als Stammgast schon bei der ersten Tour vor 16 Jahren dabei war und die Polonaise der PS-Petitessen mit einem Online-Vlog im Netz dokumentiert: „Wer wie im Flieger nur Handgepäck mitnimmt, der kommt auch mit dem kleinsten Kofferraum zurecht.“

Mitten durchs Nirgendwo
Und obwohl die Tour durch ein paar ziemlich ländliche und bisweilen auch arg einsame Gegenden führt, gibt’s schließlich selbst am hintersten Zipfel irgendwo einen Diner und einen Drugstore, wo man das Nötigste nachkaufen kann.

Das Gemeinschaftsgefühl zelebrieren
Das Cruisen auf den schönsten Byways der Ostküste und der Südstaaten ist für die Fans aber nur die halbe Miete. Die andere Hälfte ist die Community, das Gemeinschaftsgefühl, das sie bei ihren Zwischenstopps in Baseball-Stadien, Flugfeldern oder beim großen Finale auf der Rennstrecke zelebrieren. „Schließlich sind hier Freundschaften kreuz und quer durchs Land entstanden und wir haben uns jetzt dank Corona vier Jahre nicht gesehen“, sagt Cathy, die ihr Mini Coupé im Joker-Dekor lackieren hat lassen und sich damit brüstet, dass sie ganz schon „Wuhoo“ sei, während die Finger an der Schläfe kreisen.

Jede Menge kuriose Kennzeichen
Während sich Fahrer auf der Rundstrecke messen, Spenden für vernachlässigte Haustiere eintreiben, im Countryman über den Offorad-Parcour pflügen oder beim Barbecue aus ihrem Mini-Leben erzählen, lohnt für die Besucher ein Bummel über die Parkplätze. Schließlich sind die Autos bei „Mini Takes the States“ nicht gerade von der Stange: Liebevolle Airbrush-Lackierungen, augenzwinkernde Aufkleber, Armeen von Kuscheltieren und jede Menge kuriose Kennzeichen sorgen auf Schritt und Tritt für Erheiterung und zeugen von der Selbstironie der Mini-Fans.
Der Super Cooper
Einer allerdings wollte sich mit ein paar Aufkleben, bunten Sitzbezügen und einer Armee der Kuscheltiere nicht begnügen. Mit seinem Super Cooper hat der namenlose Fan aus dem Süden den vielleicht spektakulärsten Mini auf der Tour gebaut und damit zugleich die Brücke zwischen britischer und amerikanischer Automobilkultur geschlagen. Denn sein hellblauer Dreitürer steht auf der Plattform eines riesigen Pick-ups, hat fast so viel Bodenfreiheit, dass sein Nachbar im Roadster drunter durchfahren könnte, und thront über den anderen Autos auf dem Parkplatz wie die Rocky Mountains über den Great Plains.
Zum Ende des Jahrzehnts nur noch Elektro-Minis
So interessiert die Community den elektrischen Stromer begutachtet und so viele Teilnehmer ihn am liebsten gleich bestellen würden, mischt sich bei den Gästen angesichts dieses Autos ein bisschen Wehmut in die gute Laune. Die nächste Generation ab 2023 wird es zwar auch noch einmal als Verbrenner geben. Aber spätestens, wenn Mini zum Ende des Jahrzehnts nur noch Elektroautos baut, könnte es schwierig werden mit solchen Road Trips. Oder auch nicht.
Die „Minacs
Denn erstens gibt es dann ja wahrscheinlich mehr als 1,5 Millionen alte Minis in den USA, und zweitens sind die „Minacs“ ja Einschränkungen gewöhnt – und lassen sich dann auf dem Weg von Ladesäule zu Ladesäule bei ihrer Landpartie einfach ein paar Tage mehr Zeit.