Concours d’Elegance The I.C.E. in St. Moritz: Pelze und PS-Raritäten
Einmal im Jahr trifft sich der automobile Adel in St. Moritz zu seinen inoffiziellen Winterspielen. Hierbei feiert der Jetset nicht nur seine Traumwagen, sondern vor allem auch sich selbst.
SP-X/St. Moritz/Schweiz. Normalerweise spielen sie hier Winter-Polo und ihre PS-Pretiosen stehen in den klimatisierten Garagen der Luxushotels wie dem Kulm, dem Bardutt’s oder Grand Hotel des Bains. Doch heute sind ein paar mehr Pferdestärken als beim White Turf auf dem legendären Eissee von St. Moritz. Denn hier, am Fuße von Corvatsch, Bernina und Julier, treffen sich jetzt an diesem Wochenende die edelsten Oldtimer Europas zum „The I.C.E.“, dem internationalen Concours d’Elegance von St. Moritz, der zur eisigen Antwort auf Classic-Galas wie die Villa d’Este am Comer See und natürlich Pebble Beach drüben in Amerika werden will.
Erst zum zweiten Mal ausgetragen
Obwohl das Schaulaufen in Eis und Schnee erst zum zweiten Mal ausgetragen wird und dabei auch noch von Corona ausgebremst wurde, können sich die Organisatoren über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. Es gab so viele Anmeldungen, dass die 50 Concours-Kandidaten handverlesen sind. Wer kurzentschlossen noch ein VIP-Ticket für geschmeidige 1.200 Franken haben wollte, hat Pech gehabt: „Ausverkauft“, zucken die Ordner mit den Schultern und können sich ein Lachen dabei kaum verkneifen.
Klein aber fein
Zwar ist die Veranstaltung deutlich kleiner als die etablierten Concorsi. Aber erstens sind sie in St. Moritz gerne unter sich und halten deshalb nichts von großen Aufläufen gewöhnlicher Menschen mit Autos, die allein wegen ihres Alters was Besonderes sein wollen. Und zweitens muss man erst einmal paar Sammler finden, die ihr Garagengold in Winter herausholen, zumindest auf den paar Metern zwischen Parkhaus und See dem Risiko von Salz und damit Rost aussetzen und danach bedenkenlos aufs gleißend weiße Eis stellen.
Einzigartige Kulisse
Doch die, die es getan und sich in eine der fünf Kategorien einsortiert haben – darunter auch die Werksmuseen von Audi, Maserati und allen voran Mercedes – die haben es nicht bereut. Denn stilvoller als in St. Moritz lässt sich die Liebe zum alten Blech kaum zelebrieren – und eine schönere Kulisse für die kunstvollen Karossen wird man kaum irgendwo finden. Schließlich winken ringsum die Viertausender, und das Publikum ist nicht minder sehenswert im vielleicht nobelsten Ski-Ort der Alpen.
„Habt Spaß, fahrt sicher – und seid elegant“
Aber Eleganz ist schließlich das alles bestimmende Thema bei diesem Concorso, sagt Organisator Marco Makaus und schärft das den Teilnehmern auch immer wieder ein. „Habt Spaß, fahrt sicher – und seid elegant“ lautet das Mantra beim Fahrerbriefing zwischen delikatem Feingebäck, Espresso und dem ersten Kelch Champagner des Tages.
Pelze und PS-Preziosen
Beim statischen Display am ersten Tag posieren die Besitzer samt Begleitung deshalb im Pelzmantel neben ihren PS-Preziosen und putzen sich mindestens so gründlich heraus wie ihre Autos. Dabei sind sie so gründlich, dass man oft kaum unterscheiden kann, wer denn hier besser restauriert ist: Mensch oder Maschine? Und was dem Auto der Spengler, das ist dem Besitzer hier offenbar der plastische Chirurg.
Ski- statt Rennanzug
Dafür sieht man hier jedenfalls keine ölverschmierten Finger, und auch kein Werkzeug, geschweige denn einen Rennanzug. Wenn hier und heute jemand einen Anzug trägt auf dem See, dann ist es entweder ein Kellner im Frack oder Mann und vor allem Frau zwängt sich in einen Skianzug, der oft mehr kostet als mancher Kleinwagen.
Mit maximal 30 km/h aufs Eis
Als die Autos tags drauf für ein paar Runden aufs Eis gehen, sollen sie dort auch eher flanieren als fahren, mahnen die Organisatoren und bitten um maximal 30 km/h. „Denkt dran, es geht hier nicht um Eile, sondern um Eleganz!“ Leichter gesagt als getan, wenn man in einem 300 SLS aus dem Stuttgarter Museumsfuhrpark sitzt, dessen 235 PS-Reihensechszylinder einem schon beim ersten Gasstoss so warm ums Herz macht, dass einen die minus fünf Grad auch nicht mehr frösteln lassen. Selbst wenn einem der beißende Wind über die blanke Karosse ohne Frontscheibe direkt unter die Jacke und ins nackte Gesicht bläst.
„Beauties on the Lake“
Und wenn dann nach der ersten Kurve auf dem keine 1.000 Meter langen Oval auch noch das Heck eines Ferrari 340 MM auftaucht, ein Jaguar D-Type oder ein Maserati 450S vorbei drängt, dann gibt es tatsächlich kaum ein Halten mehr. Immer höher dreht man die Gänge aus, immer wilder spritzt der Schnee und immer weiter drängt das Heck nach außen, wenn der SLS über Eis fliegt als wäre der Silberpfeil unter die Skifahrer gegangen. Und weil es einem im Fiat 508 C oder einem Porsche 550 Spyder wahrscheinlich nicht anders geht, sind die zehn Autos auf dem See plötzlich doch im Stellungskampf und die meisten Fahrer sind weit davon entfernt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Eben nach ein Schaulaufen der „Beauties on the Lake“ wird daraus jetzt ein Zickenkrieg, der zur Freude der Zuschauer vor allem mit dem Gasfuß ausgefochten wird. Kalt ist da längst keinem mehr.
Petrolhead bleibt Petrolhead
Das wiederholt sich ganz ähnlich auch in den andern Klassen – egal ob bei den Open Wheelern, den zum 100. Geburtstag des Langstrecken-Klassikers zusammen getrommelten Le Mans-Rennwagen, den Prototypen oder den Queens on the Lake – Petrolhead bleibt Petrolhead und selbst jene Teilnehmer, die keine Spikereifen oder wenigstens Schneeketten aufgezogen haben, sind plötzlich heiß auf Eis, verbessen sich am Heck des Vordermanns und nehmen die beiden langen Linkskurven am liebsten quer.
Studien und One-Offs
Einen Hauch von Zurückhaltung gibt es allenfalls in einer Kategorie: bei den Studien und One-Offs. Nicht, dass sich Eigentümer daran stören würden, dass es sich hier fast ausnahmslosem und Einzelstücke handelt. Nicht umsonst schießt der in seinem orangen Lack so wundervoll aus der weißen Welt herausstechende C111 wie ein Donnerkeil über den See, und auch der nicht minder spektakulär lackierte Lincoln Indianapolis Boano ist nicht gerade im Schongang unterwegs. Doch Autos wie der Porsche 356 auf Ketten können kaum schneller und der Lancia Sibilo oder der Staro’s Zero tun sich auch etwas schwerer: Die radikal zum Keil reduzierten Studien sind für die Fahrer schlicht so unbequem, dass sie gar nicht schnell genug lenken können, um das Tempo anzuziehen.
Bühne für Selbstdarsteller
Aber so spektakulär die Autos auch sein mögen, spielen sie hier allerdings höchstens eine prominent besetzte Nebenrolle. Denn im Mittelpunkt stehen in St. Moritz die Selbstdarsteller, die den Pelz hier endlich mal wieder ganz bewusst nach außen tragen dürfen – und zwar ganz unabhängig welchen Alters und Geschlechts sie sind. Wobei man das hier auf dem Eis so genau ohnehin nie sagen kann.
Livrierte Kellner auf Schlittschuhen
In klirrend kalter Luft klingen deshalb die Champagner Kelche, die von livrierten Kellnern auf Schlittschuhen nachgefüllt werden: Hier ein Häppchen, da ein Küsschen und der Weg zwischen Park Fermé und VIP-Zelt wird zum Cat-Walk. Was man bei so viel echtem und imitierten Leoparden-Fell wahrscheinlich sogar wörtlich nehmen kann. Es gibt Alpen-Food und internationale Delikatessen, Jahrgangschampagner und Hochprozentiges, und wenn die Fahrbahn gar vollends aufgewühlt ist und die Autos längst wieder in der Garage verschwinden sind, feiern die Besitzer oben auf dem Berg in legendären Paradiso weiter oder im Palace Hotel. Es trifft ja schließich keine Armen hier.
Dass sie am Sonntag schon nicht mehr aufs Eis dürfen und der See dann wieder Sportgeräten mit nur einer Pferdestärke gehören, stört dabei keinen. Schließlich wollen sie alle wiederkommen und dabei meist nicht mal aufs nächste Jahr waren. Sondern spätestens der Weg zur Villa d’Este oder zur Mille Miglia führt viele wieder hier vorbei. Und weil dann auch das letzte Salz von der Straße gewaschen ist, kommen viele von ihnen auf eigener Achse über die Alpen – und der Spaß fängt schon zu Hause an. Nur Pelzmäntel werden sie im Sommer wohl nicht tragen.