Batteriewechselstationen: Ist das die Zukunft?
In Deutschland hat der chinesische E-Autohersteller Nio seine ersten Akku-Wechselstationen eröffnet. Handelt es sich hierbei um ein zukunftsweisendes System?
SP-X/Köln. Laden ist lästig und langsam. Als Alternative zum Einstöpseln des E-Autos hat sich in China der vollautomatische Akku-Wechsel etabliert. Nun soll das System auch in Deutschland Fuß fassen. Die potenziellen Vorteile sind reizvoll, aber es gibt auch ein paar Hürden.
Wie funktioniert der Batterie-Wechsel?
Vorgenommen wird der Akku-Tausch in speziellen, vollautomatisierten Wechsel-Stationen im Format einer Doppelgarage. Der Fahrer fährt das Fahrzeug hinein und parkt an einer definierten Stelle, der Rest läuft automatisch. Während die Insassen im Auto bleiben, löst ein Roboter unter dem Fahrzeug die Verschraubung der Batterie mit dem Fahrzeug und trennt den Speicherpack von der Kühlung. Der entnommene, leere Akku wird zum Wiederaufladen gebracht, während ein neuer, voll aufgeladener eingepasst und befestigt wird. Fünf bis sechs Minuten nach der Einfahrt in die Station kann es für das E-Auto weiter gehen. Nach dem Abschluss des Wechsels verbleibt die leere Batterie vor Ort, wo sie langsam und schonend wieder für den nächsten Kunden geladen wird. Rund ein Dutzend Akkus sind im Vorrat, pro Stunde sollen bis zu zwölf Wechsel vorgenommen werden können. Die Zahlen beziehen sich auf das Wechselsystem von Nio, das als einziges bereits in Deutschland operiert. Bei anderen Betreibern gelten ähnliche Werte.
Wem gehören die Wechsel-Batterien?
Ein wichtiger Punkt bei den Wechsel-Konzepten ist: Sie funktionieren grundsätzlich nur mit Mietbatterien. Die einzelnen Speicher sind nicht fest einem Fahrzeug zugeordnet, sondern können innerhalb einer ganzen Flotte getauscht werden. Für viele Autofahrer in Deutschland dürfte solch ein Ansatz ungewohnt sein. Er bietet aber auch Vorteile: So müssen sich E-Autobesitzer nicht um die Lebensdauer des Akkus sorgen. Auch eventuelle Schäden gehen nicht zu ihren Lasten. Theoretisch könnten Kunden auch von Fortschritten in der Batterie-Entwicklung profitieren, ohne dafür ein neues Auto kaufen zu müssen. Das hängt allerdings davon ab, oder der Wechselanbieter solche Akkus dann auch verfügbar macht.
Gibt es weitere Vorteile für den Kunden?
Hauptvorteil des Wechsel-Modells sind die kürzeren Standzeiten. So dauert das „Nachtanken“ von hunderten Kilometern Reichweite dort nur rund fünf Minuten. Ein vergleichbares Aufladen an der Schnellladesäule nimmt im besten Fall rund fünf Mal so viel Zeit in Anspruch. Und es gibt weitere Vorteile: Zum einen die Flexibilität bei der Akku-Wahl. Prinzipiell halten Wechselstationen Speicher in unterschiedlichen Kapazitäten vor. Wer im Alltag mit geringer Reichweite klar kommt und daher mit einer günstigen und leichten Mini-Batterie fährt, kann beispielsweise für die Urlaubs-Tour in der Wechselstation gegen Gebühr zeitweise auf eine größere Batterie umsteigen.
Hat der Batterie-Wechsel auch Vorteile für den Hersteller?
Kunden ohne Reichweitenangst – das ist der offensichtliche Vorzug, den die Technik für die Hersteller hat. Wer ein großes Netz von Wechselstationen bieten kann, hat bei vielen Kundengruppen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Herstellern, die allein auf ihr Schnellladenetz setzen. Es gibt aber noch andere, eher strategische Vorzüge: Die Batterie wird bei Wechselmodellen nur vermietet und bleibt somit über den kompletten Lebenszyklus im Zugriff des Autoherstellers. Der muss dann keine teuren Garantiefälle fürchten, da er fehlerhafte Akkus einfach aus dem Verkehr ziehen kann. Generell lässt sich die Batterie-Gesundheit in diesem Modell besser überwachen und auch pflegen – der Wechselanbieter kontrolliert und optimiert Ladeleistung, Ladedauer und Ladezustand, teilt dabei die Belastung innerhalb des Speicherbestandes so, dass die einzelne Batterie möglichst lange hält. Sind die Batterien am Ende ihrer Tauglichkeit für das Auto angelangt, hat der Stationsanbieter ebenfalls die Hand drauf, entscheidet über Recycling, Aufbereitung oder die Integration in einen stationären Energiespeicher.
Für welche Fahrzeuge ist das Konzept derzeit geeignet?
In Deutschland bietet aktuell ausschließlich der chinesische Hersteller Nio den stationsbasierten Akku-Wechsel an. Aktuell gibt es zwei Stationen, weitere sollen jedoch folgen. In China unterhalten Nio und Konkurrenten wie MG und Geely sowie seit kurzem der Batteriehersteller CATL bereits ein Netz der alternativen E-Tankstellen. Dass das Angebot in Deutschland noch klein ist, ist weniger schlimm, denn auch die Zahl der geeigneten Autos ist nicht groß. Neben der Oberklasselimousine NT7 bieten die Chinesen den kleinere ET5 und das SUV EL7 an.
Was kostet der Wechsel?
Konkrete Preise gibt es bislang nur von Nio. Zwei Wechsel pro Monat sind bei den Chinesen kostenlos. Danach werden 10 Euro pro Wechselvorgang fällig, dazu zahlt der Kunde die Differenz im Energiegehalt von altem und neuem Akku. Pro kWh berechnet Nio aktuell sehr günstige 20 Cent. Was das Wechseln allerdings wirklich kostspielig macht, sind die Batteriemieten. Mindestens 170 Euro pro Monat werden beim Nio ET7 für den Akku mit 75 kWh Fassungsvermögen fällig. Wer die große 100-kWh-Batterie will, zahlt 290 Euro. Zusätzlich zu den knapp 70.000 Euro Einmalzahlung, die das Auto mindestens kostet. Alternativ ist ein Abo-Modell möglich, bei dem die monatlichen Raten für Privatkunden bei 1.130 Euro starten. Der Besuch der Akku-Wechselstationen ist für Abo-Nutzer aber „bis auf Weiteres“ kostenlos.
Gibt es weitere Nachteile?
Die bislang geringe Zahl an Stationen, die relativ hohen Preise und die Abhängigkeit von der Tarifpolitik eines Anbieters – das sind die klassischen Nachteile aus Kundensicht. Letztgenannter Punkt ist zu relativieren, da trotz Wechselmöglichkeit klassisches Schnellladen weiterhin möglich ist – und damit die Wahl eines möglicherweise günstigeren Gesamtpakets aus Strompreis und Gebühren. Schwerer wiegen dürfte die geringe Netzdichte. Bildet sich eine Schlange an der Station, ist der Zeitvorteil des Wechsels gegenüber dem Schnellladen bei mehr als drei Wartenden für den letzten in der Reihe schon kaum mehr vorhanden. Darüber hinaus sorgt die Wechseltechnik bei der Fahrzeugentwicklung für eine gewisse Inflexibilität. Lage und Montage der Batterie sind weitgehend vorgegeben, künftig denkbare Plattformkonzepte wie eine Cell-to-Chassis-Struktur, wo die Energiespeichermodule direkt in die Karosserie eingebaut werden, sind nicht möglich.
Für welche Nutzergruppen ist ein Batterie-Wechsel besonders interessant?
Klassische Zielkundschaft sind Personen, die häufig Langstrecken fahren. Etwa der Handelsvertreter, der mehrere hundert Kilometer am Stück anreist, beim Kunden nicht nachladen kann, abends aber wieder flott nach Hause möchte. Dieser soll, so die Idee, unterwegs schnell den Akku wechseln und sofort weiterfahren. Interessant ist das Konzept aber auch für alle, die zuhause keine eigene Lademöglichkeit haben – etwa Bewohner von Innenstädten oder Häusern mit veralteten Stromleitungen. In China hat sich der Akku-Wechsel auch in großen Wohnvierteln als Alternative zur Ladesäule etabliert. Dabei spielt auch die bessere Steuerbarkeit der Aufladung eine Rolle: Die lokalen Stromleitungen müssen nicht für das gleichzeitige Feierabend-Auftanken hunderter E-Auto-Fahrer ausgelegt werden. Weil die Tausch-Akkus über den kompletten Tag geladen werden können, fällt eine geringere Spitzenlast an.
Warum konnten sich Batterie-Wechselsysteme bislang nicht durchsetzen?
Die chinesischen Autohersteller sind nicht die ersten, die auf die Idee mit dem Akkutausch gekommen sind. Anfang des Jahrtausends hatten das israelische Unternehmen Better Place und der französische Autohersteller Renault ein ähnliches System entwickelt und 2011 auch erste Pilotanlagen eröffnet. Zwei Jahre später wurde das Projekt aber bereits wieder begraben. Zu den Gründen dürfte gezählt haben, dass die E-Mobilität damals noch in den Kinderschuhen steckte und weit exotischer war als heute. Zudem erwies sich wohl die Kooperation zwischen Wechselstations-Betreiber und Fahrzeughersteller als problematisch. Heute versuchen die Autohersteller, beide Produkte aus einer Hand anzubieten.
Braucht es auf lange Sicht eine Einheitsbatterie?
Dass es Better Place schwer hatte, dürfte auch daran gelegen haben, dass man mit Renault nur einen Automobilpartner gewinnen konnte. Auch Nio könnte daran vor allem in Europa zu knabbern haben. Ist die Pkw-Flotte doch aktuell noch zu klein, als dass sich ein großes Netz an Wechselstationen lohnen könnte. Kurzfristig werden aber wohl keine weiteren Hersteller auf die Technik aufspringen. Mittelfristig könnte die Teilnahme an einem Wechselkonzept aber vor allem für kleine Hersteller interessant werden: etwa für Anbieter von Pkw-Kleinserien oder speziellen Nutzfahrzeugen, etwa im Liefereinsatz. Batteriehersteller CATL will künftig entsprechend geeignete Akkusysteme in großem Stil anbieten. Dass sich die westlichen Autohersteller auf eine Einheitsbatterie einigen und ein eigenes Wechselstationen-Modell aufziehen, gilt als unwahrscheinlich. Noch weniger realistisch erscheint, dass sie sich Nio beziehungsweise CATL anschließen. Sie setzen stattdessen auf die Verbesserung der Schnellladetechnik. Perspektivisch soll das Laden nicht länger dauern als heute das Tanken von Flüssig-Kraftstoff.
Wird Laden oder Wechseln der Standard der Zukunft?
Dass ein Ansatz den anderen komplett verdrängt, ist unwahrscheinlich. Prinzipiell können beide gut nebeneinander existieren, da sie sich eher ergänzen als ausschließen. Beide bieten zudem eigene Vorteile und sprechen spezielle Bedürfnisse an. Der geringere Platzbedarf und die niedrigeren Installations- und Betriebskosten etwa machen Ladesäule an vielen Standorten attraktiv, die höhere Flexibilität und die Möglichkeit neuer Geschäftsmodelle mit Miet-Akkus sprechen für die Wechselstationen.