Autobauer im Metaverse
Ist „Metaverse“ nur der nächste kurzlebige Hype? Oder ein echter Zukunftstrend? Die Autoindustrie ist auf dem Weg, das herauszufinden.
SP-X/Köln. Gerade hat das Internet den „Neuland“-Status überwunden, da tut sich online schon wieder eine neue Welt auf. Das sogenannte „Metaverse“ soll in den kommenden zehn Jahren nicht nur das Web, sondern auch das Autogeschäft revolutionieren. Droht nun eine neue „Second Life“-Blase? Oder steht diesmal wirklich eine Umwälzung bevor?
Was ist dieses „Metaverse“ eigentlich?
Mit der Facebook-Mutter „Meta“ hat das Metaverse zunächst einmal nichts zu tun, auch wenn Missverständnisse durchaus im Interesse des IT-Konzerns liegen dürften, der eine der Triebkräfte hinter der neuen – und so viel sei schon verraten: hoch-kommerziellen – Online-Welt ist. Betreten werden kann sie über Laptop, Handy und Co., noch besser aber mittels Virtual-Reality-Brille. Die VR-Technik perfektioniert Illusion und Immersion, der Nutzer soll sich in der digitalen wie in einer realen Welt fühlen. In diesem – oder besser gesagt diesen – „Parallel“-Universen kann er als virtuelle Spielfigur in virtuellen Landschaften oder Städten Freunde treffen, Videospiele spielen sowie digitale und physische Waren kaufen. Mit Echtgeld oder Kryptowährung. Ganz neu ist die Idee einer lebensechten virtuellen Welt nicht – man denke an Science-Fiction-Filmhits wie „Matrix“ oder „Ready Player One“. Das echte Metaverse soll natürlich deutlich weniger dystopisch und angsteinflößend sein als die Hollywood-Phantasien. Erste Anfänge der digitalen Parallel-Realität gibt es bereits heute, bis zur vollen Entfaltung dürfte aber noch ein Jahrzehnt vergehen – das zumindest schätzt Meta als realistischen Zeithorizont ein.
KIingt wie „Second Life“, oder?
Anfang des Jahrtausends gab es schon einmal einen Hype um eine virtuelle Welt. „Second Life“ – zweites Leben – hieß diese und nervte im vergleichsweise lahmen Prä-Glasfaser-Internet mit Klötzchengrafik und verblüffenden Programmierfehlern. Die Autobranche, damals wie heute um ein modernes Image bemüht, ließ sich von zahllosen Bugs und Glitches nicht abschrecken und eröffnete schnell schicke Markenrepräsentanzen und Meeting-Points in der virtuellen Parallelwelt. Während sich kaum ein Hersteller dem Trend verschließen wollte, ignorierten die umworbenen Besucher das Angebot fast komplett. Noch heute dürften in irgendeiner verlassenen Ecke des Webs die flackernden Geisterstadt-Ruinen der Second-Life-Autohäuser stehen. Was der frühe Ausflug in virtuelle Welten die Branche gekostet hat, ist nicht bekannt.
Wieso sollte es diesmal anders werden?
Tausender-Internetleitungen, Smartphones mit x-mal so viel Rechenleistung wie das erste Space Shuttle und VR-Brillen, die sich auch Normalverdiener leisten können – zumindest die technische Basis ist heute viel besser als noch vor knapp zwei Jahrzehnten. Hinzu kommt: Auch auf Seiten der Wirtschaft gibt es mehr und mächtigere Treiber. Neben Facebook, Amazon, Microsoft, Apple und Google haben zahlreiche weitere Unternehmen ihre Hände im Spiel – von Hardware-Herstellern wie Qualcomm und Nvidia über Plattform-Anbieter wie Roblox und Minecraft bis zu Software-Anbietern wie Unity und Blender. Nicht zu vergessen Zahlungs-Dienstleister wie Visa, Paypal oder Coinbase. Oder aber Investoren, die händeringend nach neuen Wachstumschancen suchen.
Wie kommen die Autohersteller ins Spiel?
Autos prägen die Städte, Autohäuser die Einfallstraßen und Autobauer die Wirtschaftslandschaft. Wenn das Metaverse ein virtuell nachempfundenes und optimiertes Abbild der realen Welt ist, muss auch die Fahrzeugbranche in ihm vertreten sein. Bislang haben unter anderem der indische Mahindra-Konzern und der Fahrzeug- und Motorenhersteller Honda Showrooms oder Repräsentanzen im Metaverse eröffnet. Die Japaner erlaubten dort sogar testweise den Kauf von echten Neuwagen. Weitere Hersteller werden folgen, wie Jan Burgard vom Beratungsunternehmen Berylls die Lage einschätzt. Der Experte sieht aber auch bereits deutlich niederschwelligere Möglichkeiten zum Start ins Metaverse: „Viele Hersteller und sogar große Zulieferer haben bereits metaverse Funktionen in Marketing und Vertrieb eingeführt, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, ein Auto auf immersive Weise zu erleben, ohne das eigene Haus zu verlassen.“ So bieten unter anderem Audi, BMW, Hyundai und Ferrari bereits virtuelle Testfahrten mit ihren Modellen an. Auch die Fahrzeugkonfiguration wird am heimischen Computer oder im physischen Showroom immer virtueller – wenn etwa wie bei Mercedes oder Audi Kunden VR-Brillen nutzen, um im selbst zusammengestellten Auto vor der Bestellung schon mal Probe sitzen zu können.
Übertragen die Autohersteller also nur ihr bekanntes Geschäftsmodell ins Metaverse?
Nein. Die Möglichkeiten und selbst die aktuellen Ansätze gehen weit darüber hinaus. So möchte zum Beispiel Cupra-Chef Wayne Griffith gerne neben echten Autos auch sogenannte NFTs verkaufen, wie er Anfang des Jahres zur Feier des vierten Geburtstags der Seat-Schwestermarke ankündigte. NFT steht für „Non fungible Token“, ein geschütztes, nicht austauschbares digitales Objekt, in seiner Einmaligkeit abgesichert über eine Blockchain. Anders als andere digitale Werke ist es nicht unendlich oft sowie nahezu kostenlos reproduzierbar und soll damit als Geldanlage dienen können. Das bekannteste NFT-Kunstwerk ist die Bilderserie mit dem gelangweilten Affen „BoredApe“, deren einzelne Variationen für hunderttausende Euro gehandelt werden. Cupra wird es wohl finanziell zunächst eine Nummer kleiner machen und beispielsweise digitale Autos, Kleidungsstücke oder anderen Marken-Merchandise anbieten. Die virtuellen Waren kann man dann entweder als Geldanlage sehen oder sie im Metaverse nutzen, um den eigenen Avatar – die „Spielfigur“ – einzukleiden oder auszustatten. Honda hat das im März vorexerziert, als die ersten 500 Vorbesteller der neuen Mittelklasselimousine Integra auch eine digitale NFT-Abbildung des Modells erhalten haben. Zusammen mit dem impliziten Versprechen einer künftigen Wertsteigerung des Tokens. Alternativ lässt sich mit ihr das virtuelle Eigenheim schmücken – denn sowohl Grundstücke als auch Immobilien sind im Metaverse längst käuflich zu erwerben.
Wenn das Auto ins Metaverse geht, zieht das Metaverse dann auch ins physische Auto ein?
Vor allem der Trend zum autonomen Fahren befeuert die Metaverse-Phantasien. Denn die durch Roboterhilfe hinterm Steuer gewonnene Zeit will sinnvoll oder angenehm genutzt werden. Audi startet bereits diesen Sommer mit einem Angebot für die schon heute weitgehend beschäftigungslosen Fond-Passagiere. Mit Hilfe einer VR-Brille sollen die Rückbänkler Videospiele, Filme und interaktive Inhalte konsumieren können. Die 3D-Darstellung passt sich dabei an die Fahrtbewegungen des Autos an. Nutzbar ist die vom Start-up Holoride entwickelte Technik aber nur in Verbindung mit einem speziellen Virtual-Reality-Headset. Zudem dürften Abo-Gebühren fällig werden, wodurch das Metaverse eine erste konkrete Einnahmequelle erschließt. In den kommenden Jahren dürften weitere Pkw-Marken den Übergang in virtuelle Welten wagen – allein Holoride hat nach eigenen Angaben bereits entsprechende Kooperationen mit Ford und Porsche geschlossen.
Gehen jetzt alle Autohersteller ins Metaverse?
Bei neuen Trends will einerseits niemand der letzte sein. Andererseits dürfte der „Second Life“-Flop vielen Unternehmen als Warnung dienen. „Die Automobilkunden weisen weltweit ein sehr unterschiedliches Niveau an digitaler Kompetenz auf“, weiß Berylls-Experte Burgard. OEMs müssten daher einen maßgeschneiderten Ansatz für die Nutzung des Metaversums in Vertrieb und Marketing finden, je nachdem, welche Kundensegmente und welches spezifische Kundenverhalten sie ansprechen wollen. Für Marken wie Cupra, die vor allem ein jüngeres Publikum locken, liegt ein Metaverse-Engagement beispielsweise nahe. Ebenso für Premiumhersteller, die sich als technische Avantgarde verstehen, oder Marken, die im durchdigitalisierten China vertreten sind. Gleichzeitig drohen aber diejenigen abgehängt zu werden, die im Web nicht schnell genug ihre Claims abstecken. „Die Autohersteller werden auf den einzelnen Plattformen um erstklassige Einzelhandelsstandorte und Geschäfte konkurrieren, die zum gleichen Preis pro Quadratmeter verkaufen wie in der realen Welt“, prognostiziert Burgard. Und die besten Locations sind schnell vergeben.
Titelbild: kinwun – stock.adobe.com