Lamborghini Gallardo vs Lamborghini Revuelto
Lesezeit 6 Min. Der Lamborghini Gallardo ist inzwischen zum Youngtimer gereift. 20 ereignisreiche Jahre trennen ihn von Lamborghinis aktuellem Hyper-Sportwagen Revuelto. Ein packender Stierkampf zwischen zwei Superhelden ihrer jeweiligen Ära.
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SP-X/Sant´Agata Bolognese. Durch den Rückspiegel der Zeitgeschichte betrachtet, sind 20 Jahre kaum mehr als ein Wimpernschlag. In der Automobilentwicklung indes bedeuten zwei Dekaden eine Ewigkeit. Der direkte Vergleich des Lamborghini Gallardo aus dem Jahre 2004 mit dem neuen Hyper-Sportwagen Lamborghini Revuelto zeigt eindrucksvoll, wie die Zeit – im wahrsten Sinne des Wortes – rennt.
Lamborghini Gallardo: Der Super-Keil
Anfang der Zweitausender galt der Super-Keil Gallardo als absoluter High-Tech Sportwagen mit „ausgefeilten Allround-Eigenschaften“, wie die Fachpresse damals schrieb. Allradantrieb, vergleichsweise leichte 1.430 Kilo dank Alu-Spaceframe sowie das erste in einen Lambo eingebaute ESP ließen ihn mindestens auf Augenhöhe mit einem Ferrari 360 um die Gunst der betuchten Kundschaft fahren. 14.022 Gallardos liefen von 2003 bis 2013 in Sant ´Agata Bolognese vom Band. Weit mehr als von jedem anderen Lambo.
Der Lamborghini Gallardo ist jetzt ein Youngtimer
Wie fühlt sich das Erfolgsmodell heute an? Unser Test-Gallardo aus dem Jahr 2004 trägt die Nummer 106 und darf sich ab sofort Youngtimer nennen. Lamborghini hat den sonnenblumengelben Zeitzeugen von einem griechischen Kunden mit zarten 20.000 Kilometern auf der Uhr erhalten und ihn ins Museum an der Via Modena 12 geholt. Das Cockpit und die spartanisch gepolsterten Sitze zeigen Spuren eines rasanten Lebens auf der Überholspur. Alles wirkt vertraut, aber auch deutlich aus der Zeit gefallen.
Lamborghini Gallardo: Nur 1,16 Meter hoch
2003 kam der von Luc Donkerwolke gezeichnete Lamborghini Gallardo als kleiner und erschwinglicher Bruder des V12-Murciélago auf die Welt. Bei knapp 140.000 Euro fing die Preisliste damals an, was sich selbst aus heutiger Sicht nicht wirklich nach einem Black-Friday-Angebot anhört. Mit 4,30 Meter war der Gallardo kaum länger als ein aktueller Golf und mit 1,16 Meter flunderflach. Die Türen öffneten normal und nicht wie beim Murciélago schräg nach oben. Der aus heutiger Sicht antiquierte Infotainment-Baukasten aus der vordigitalen Steinzeit, Displays, Schalter und Knöpfe tragen bereits die Handschrift von Audi, die der Automobili Lamborghini ab 2001 neues Leben einhauchten.
Design aus Audis Feder
Der Gallardo war der erste Lamborghini, der komplett aus Audis Feder stammte. Inklusive des fulminanten Fünfliter-V10 im Nacken des Fahrers. 368 kW/500 PS und 510 Newtonmeter Drehmoment standen auf der Speisekarte. Mithin Werte, die heute jeder zweite Elektro-SUV unterm fahrtwindoptimierten Blech hat. Doch das ungefilterte Erlebnis Gallardo ist ungleich faszinierender. Und wird es noch für Jahre bleiben.
Nichts für Warmduscher
Wer den Zehnender anwirft, erntet ein kehlig heiseres Kreischen, das der Gänsehaut eine Gänsehaut bereitet. Langsam in die Gänge kommen will hier keiner. Zumal der V10 seine volle Leistung und den akustischen Overkill erst bei 7.800 Umdrehungen komplett in die Waagschale wirft. Der Weg dorthin ist nichts für Warmduscher. Die damals als besonders alltagstauglich gepriesene Fahrwerksabstimmung scheint zumindest bei unserem Exemplar nicht mitgeliefert zu sein. Schlaglöcher treten nach wie italienische Verteidiger der frühen Siebziger.
Der Lamborghini Gallardo ist eine herrlich analoge Herausforderung
Auch das ehemals hoch gelobte und technisch ambitionierte E-Gear-System mit Schaltwippen am Lenkrad (Aufpreis 9.280 Euro) serviert seine sechs Gänge eher auf die ruppige Art. Bei jedem Gangwechsel nimmt sich die elektrohydraulisch kontrollierte Automatik eine gefühlt ewig lange Gedenksekunde, bevor sie deftig die Fahrstufen reinhämmert. Zügig über die Landstraße bewegt und die Zügel fest in der Hand, hat der Lamborghini Gallardo aber noch immer das Potential zum Adrenalinjunkie. Über 300 Sachen mag man zwar nicht mehr mit ihm fahren, doch insgesamt ist der austrainierte Frührentner eine herrlich analoge Herausforderung jenseits von elektrifizierten Antrieben und digitalen Besserwisser-Assistenten.
Lamborghini Revuelto: Der Außerirdische vom Sternbild Stier
Der Revuelto wirkt dagegen wie ein Außerirdischer vom Sternbild Stier. Die Schnauze noch tiefer am Asphalt schnüffelnd, der zerklüftete Fahrzeugkörper martialisch wie mit dem Geodreieck gezeichnet, das Heck mit zwei armdicken, hochgelegten Ofenrohren ein einziger gespannter Muskel. Die Lambo-DNA aus Y- und Sechseck-Motiven verteilt sich übers komplette Fahrzeug.
Noch Auto, oder schon ein Flugobjekt?
Die brüllende Flunder lässt Grenzen verschwimmen. Ist das noch ein Auto, oder schon ein Flugobjekt? Das Revuelto-Skelet ist komplett aus Carbon und wiegt lediglich 188 Kilo. Drei Wochen dauert allein die Fertigstellung jedes Monocoques. Auch deshalb laufen gerade mal neun Revueltos pro Tag vom Band. Ganz in Ruhe. Bei einem Einstiegspreis von über 500.000 Euro kann man sich Zeit lassen. Der Grat der Individualisierung ist enorm, kaum ein Revuelto gleicht dem anderen. Kunden können aus 70 Innen- und über 400 Außenfarben sowie zig weiteren Optionen wählen.
Systemleistung 746 kW/1.015 PS
Nur der Antrieb des ersten elektrifizierten Lambos ist immer der gleiche: Ein 6,5 Liter-V12-Sauger, der sich mit Hilfe von drei E-Motoren erfolgreich dagegen wehrt, zum alten Eisen geworfen zu werden, powert über ein Achtgang-Doppelkupplungs-Getriebe eine Systemleistung von bis zu 746 kW/1.015 PS auf alle vier Räder. Eine kleine Batterie gibt dabei Anschubhilfe und senkt zumindest ein wenig die Emissionen. Ach ja, 13 Kilometer rein elektrische Schleichfahrt sind auch noch drin.
In 2,5 Sekunden auf Tempo 100
Über kleine Drehregler am Lenkrad lassen sich vier Fahrmodi, E-Programme sowie die Position der Karossiere und des Heckspoilers personalisieren. Je nach Fahrweise und Ambitionen können so 13 unterschiedliche Grundeinstellungen hinterlegt werden. Im Renn-Modus Corsa verbünden sich alle Sinne zu einer Performance aus einer anderen Galaxy. Dann schießt der Revuelto explosionsartig in 2,5 Sekunden auf Tempo 100, den High-Speed geben die Stierkämpfer mit jenseits von 350 km/h an.
Kein Lambo war je schneller
Und keiner ließ sich berechenbarer um Kurven zirkeln. Ausgefeilte Regelsysteme erahnen im Voraus, wo sie gleich ihre Kraft hinleiten sollen, Carbon-Keramik-Bremsen werfen fein dosierbar den Anker und der heiliggesprochene Zwölfer brüllt dazu mit einer Maximaldrehzahl von 9.500 Umdrehungen heiser schreiend seine ganze Lust heraus. Was für ein Statement der Kraft und Freude am sportlichen Fahren. Kein Wunder, dass sich Lamborghini mit seinem ersten vollelektrischen Sportwagen noch bis mindestens 2030 Zeit lässt.
Vielleicht werden wir später mal, durch den Rückspiegel der Zeitgeschichte betrachtet, sagen: der Revuelto, ja, der war der letzte echte Lambo. Ein Enkel des famosen Gallardo, erinnert ihr euch noch?
Dieser Beitrag stammt von Tomas Hirschberger, Redakteur für das Redaktionsbüro SPS Spotpress Services GmbH.
Lamborghini Gallardo – Technische Daten:
Zweisitziger Sportwagen; Länge: 4,30 Meter, Breite: 1,90 Meter, Höhe: 1,16 Meter, Radstand: 2,56 Meter, Kofferraumvolumen: 110 Liter
5,0 Liter-V10-Benzinmotor, 368 kW/500 PS, maximales Drehmoment: 510 Nm bei 4.500 U/min, Allradantrieb, sequenzielle Sechsgang-Automatik, 0-100 km/h: 4,2 s, Vmax: 309 km/h, Normverbrauch: 14,0 Liter/100 Kilometer
Preis (2003): 139.200 Euro
Lamborghini Revuelto – Technische Daten:
Zweisitziger Sportwagen; Länge: 4,95 Meter, Breite: 2,03 Meter (mit Außenspiegeln 2,27 Meter), Höhe: 1,16 Meter, Radstand: 2,80 Meter,
Plug-in-Hybrid: 6,5 Liter-V12-Benzinmotor + drei Elektromotoren, Systemleistung 747 kW/1.015 PS, maximales Drehmoment: 746 Nm bei 6.750 U/min, Allradantrieb, Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe, Akkugröße: 3,8 kWh, 0-100 km/h: 2,5 s, Vmax: über 350 km/h, Normverbrauch: 11,86 Liter/100 Kilometer, Energieverbrauch 10,1 kWh/100 Kilometer, CO2-Ausstoß: 276 g/km
Preis: ab 502.585 Euro