60 Jahre Volkswagen 1500 und 1600
Dieser Volkswagen ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Klar, als konservative Heckmotorlimousine zielte der 1961 vorgestellte Volkswagen 1500 (Typ 3) nur auf Käfer-Aufsteiger, aber als frecher Variant befreite er den Kombi vom Handwerkerimage. Familien und Freizeitfans traf der Volkswagen Variant ins Herz, der Beginn des ersten Kombi-Hypes.
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SP-X/Köln. Das Jahr 1961 brachte einen Sommer, in dem Berlin und Wolfsburg die Titelseiten der deutschen Presse prägten: In der Spreemetropole begann die DDR mit dem Bau jener Mauer, die Deutschland über Jahrzehnte spalten sollte. Und im provinziellen Wolfsburg fing die Privatisierung der Volkswagenwerk AG an, vor allem aber überraschte der Käfer-Produzent mit der Vorstellung einer neuen Modellreihe, dem Volkswagen 1500 (Typ 3). Damit hatten selbst Fachleute nicht mehr gerechnet: 23 Jahre nach dem Debüt des kompakten Käfers führte der VW-Konzern eine zweite Pkw-Reihe ein, die den Mega-Erfolg des Krabbeltiers in die Mittelklasse übertragen sollte. Dies in den Konturen einer konservativen Stufenhecklimousine, eines extravaganten Cabriolets und eines Kombis, also in Karosserievarianten, die den etablierten Konkurrenten Opel (Rekord), Ford (Taunus 17 M), Fiat (1300/1500) und Peugeot (403) klar machten: Als größter europäischer Autohersteller will Volkswagen mit dem 1500 auch die beruflichen Aufsteiger der Wirtschaftswunderjahre gewinnen.
Anknüpfen an den Erfolg des VW Käfers
Aber ließ sich der Erfolg des Käfers wirklich in ein größeres Format übertragen? Tatsächlich zählte der ab 1965 auch als Volkswagen 1600 erhältliche Typ 3 lange Zeit zu den Topsellern der deutschen Zulassungscharts, wovon auch die bis 1973 erreichte Gesamtauflage von rund 2,6 Millionen Einheiten kündet. Allerdings ging das teure Cabriolet doch nicht in Serie und das 1965 nachgelegte Schrägheck 1600 TL polarisierte. Stattdessen konnte der erste Pkw-Kombi mit VW-Logo punkten: Mit dem Variant wandte sich Wolfsburg an Familien und Freizeitfans und diese machten den Lademeister bald zur populärsten Typ-3-Variante.
Der „Volks-Traumwagen“: Ghia 1500 Coupé
Übrigens übertrug Volkswagen das Konzept der Typ-3-Limousinen auch aufs Segment der Sportcoupés. So wie 1955 der Käfer die Basis für den in 538.000 Einheiten gebauten Karmann Ghia (Typ 14) bot, gab es von 1961 an auch den Volkswagen 1500 als Karmann Ghia Coupé und Cabriolet (Typ 34). Letzteres allerdings nur als Showcar, ebenso wie für die offene Typ-3-Limousine sahen die Vertriebsstrategen von Volkswagen für diesen schicken Karmann Ghia keine Absatzchancen.
Dagegen galt das Karmann Ghia 1500 Coupé als „Volks-Traumwagen“, wie gleich mehrere enthusiastische Motorjournalisten feststellten. Gab es doch kein zweites Sportcoupé der damals angesagten 1,5-Liter-Klasse, das so billig war. Mit Preisen ab 8.750 Mark kostete der Karmann sogar ein Drittel weniger als etwa Fiat 1200 Coupé oder Auto Union 1000 SP. Dennoch fand das große Karmann Coupé bis 1969 nur 42.000 Fans, was an den modisch-vergänglichen Blechfalzen des Sportlers gelegen haben mag, aber auch an den unsportlichen Fahrleistungen seines anfänglich nur 33 kW/45 PS entwickelnden Boxermotors.
VW-typische Zuverlässigkeit
Als Limousine und Variant war der Volkswagen 1500 nicht kräftiger, aber ein bescheidener Beschleunigungswert von 25 Sekunden für den Spurt von null auf 100 km/h platzierte den 4,23 Meter langen Wolfsburger bereits auf Augenhöhe mit den Bestsellern aus Rüsselsheim und Köln. Diesen hatte er das riesige Käfer-Vertriebsnetz voraus und die damals legendäre VW-typische Zuverlässigkeit. Tatsächlich erinnerte der Volkswagen 1500 auch durch andere Details an den Käfer, verfügte er doch über einen luftgekühlten, im Heck angeordneten Boxermotor, einen robusten Plattformrahmen und nur 2,40 Meter Radstand – sowie ein Design, das sich damaligen Modeströmungen wie Pininfarina-Trapez, Panoramascheiben oder Stromlinie á la Ford 17 M verweigerte.
Der 13 Jahre lang gebaute Volkswagen Typ 3 brach mit kurzlebigen Moden
Unaufgeregt, speziell als Variant geradlinig gezeichnet, passte der erste Ponton-Volkswagen perfekt in die 1960er Jahre, die mit den Rockin‘ Fifties und ihren fast jährlichen wechselnden Trends brachen. So wie Mary Quants Minirock die Modewelt der 1960er durchgängig bestimmte, die Beatles die Popkultur dauerhaft beeinflussten und der vom Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard initiierte Bonner Kanzlerbungalow einen längerfristigen Architekturtrend setzte, brach auch der 13 Jahre lang gebaute Volkswagen Typ 3 mit kurzlebigen Moden. Allerdings: Ein Revolutionär wie etwa der ebenfalls 1961 lancierte Longseller Renault 4 war der Wolfsburger nicht, der Typ 3 folgte ganz dem Vorbild des vermeintlich zeitlosen Käfers.
Der Modellname Variant erlangte sogar Kultstatus
Mit einer Ausnahme: Als Variant und damit als dreitüriger Kombi war der Typ 3 der erste Vertreter einer für Volkswagen neuen und bis heute besonders populären Karosserieform. Angeregt von Werner Jansen, dem Chef von Volkswagen Kanada, sollte der Typ 3 vor allem Familien und Freizeitsportler ins Herz treffen, also die verblüffende Erfolgsstory des Volkswagen T1 Bulli – speziell in Nordamerika – auf den Pkw transferieren. Tatsächlich erwies sich der gefällig gezeichnete Variant als Geniestreich, war er doch nie mit dem Image des rein nutzwertigen Lastesels belegt, das Opel Rekord Caravan und Ford Taunus Turnier in einem langwierigen Prozess ablegten. Der Modellname Variant erlangte sogar Kultstatus – ganz im Gegensatz zur Typ 3 Limousine und dem vom Volksmund als „Traurige Lösung“ belächelten, wenig gefragten Fastback 1600 TL (offiziell stand TL für „Touren-Limousine“), das 1965 nachgelegt wurde.
Zweitkofferraum unter der Fronthaube
Praktische Vorteile besaß der Variant nicht nur durch die große Klappe und die extraflache Ladefläche, unter der sich der kompakt bauende Boxermotor verbarg. Wie alle Typ 3 bot er unter der Fronthaube einen Zweitkofferraum. Ab der zweiten Hälfte der 1960er hoben die Variant-Verkaufszahlen richtig ab, wer nun den Variant als Zweit- oder Urlaubswagen nutzte, hatte bisweilen sogar noch einen Sportler von Porsche, einen Audi oder sogar einen NSU Ro 80 in der Garage. Der Ausbau des VW-Konzern-Portfolios und des Vertriebsnetzes beschleunigte solche Entwicklungen.
Wegweisende elektronischer Benzineinspritzung
Tatsächlich konnte auch der Typ 3 technische Avantgarde. Volkswagen 1600 LE und TLE gab es ab 1967 mit wegweisender elektronischer Benzineinspritzung, die zwar nicht der weiterhin frugalen Motorleistung von 40 kW/54 PS zu Gute kam, aber Benzinverbrauch und Emissionen reduzierte – letzteres in den USA bereits ein Thema. Trotzdem galten Typ 3 Limousine und TL in der öffentlichen Meinung weiterhin als Langweiler für Käufer, denen der Käfer zu klein geworden war. Immerhin zeigte der Typ 3 bis 1973, wie begehrt langweilige Autos sein können – um dann dem ersten Volkswagen Passat Platz zu machen, der mit Frontantrieb und wassergekühlten Vierzylindern alles anders machte.
Fahreigenschaften des Typ 3: „Porsche-artige Kurvenkünste“
Und wie steht es um die heute bisweilen diskutierten Fahreigenschaften des Typ 3, dessen Heckmotor-Layout dem des umstrittenen Chevrolet Corvair ähnelt? Frühe Testberichte bescheinigten dem großen Bruder des Käfers „Porsche-artige Kurvenkünste“ und eine Straßenlage, die sich „mit der Mittelklasse-Konkurrenz messen kann“, auch die Seitenwindanfälligkeit wurde anfangs als gering eingeschätzt. Wer heute einen Typ 3 Oldtimer bewegt, wird dies anders empfinden, aber ehrlich vergleichen lässt sich der 60 Jahre alte Wolfsburger Millionseller nur mit seinen frühen Zeitgenossen. Die der Volkswagen übrigens oft überlebt hat, denn Robustheit war seine besondere Stärke.
Chronik VW 1500 und 1600 Typ 3
1961: Bei der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt präsentiert der VW-Konzern den Volkswagen 1500 (Typ 3) als Mittelklasselimousine mit
einem 45 PS leistenden 1,5-Liter-Boxermotor im Heck. Dieser erste Vertreter der Baureihe Typ 3 soll laut Marketing für „gediegene Eleganz“ stehen und „Fahrer mit gehobenen Ansprüchen“ erreichen, aber auch „kluge Rechner“ durch Preise ab 6.400 Mark überzeugen. Auch die Kombi-Version des Typ 3, der Volkswagen Variant wird auf der IAA gezeigt, zudem steht dort ein Typ 3 Cabriolet (Preis ab 8.200 Mark), das allerdings nicht in Serienfertigung geht. Ebenfalls bei der IAA debütiert das Volkswagen Karmann Ghia 1500 Coupé, das auf dem Typ 3 basiert und zu Preisen ab 8.750 Mark angeboten wird und ein Karmann Ghia 1500 Cabriolet zu Preisen ab 9.500 Mark, das wie die offene Limousine nicht in Produktion geht. Designt von der Carrozzeria Ghia in Turin/Italien wird die Karosserie des Coupés von Karmann im Werk Osnabrück gebaut und Chassis, Motor und Getriebe kommen vom Volkswagen Typ 3. In diesem Jahr produziert der VW-Konzern erstmals mehr als eine Million Autos (1.007.113 Einheiten), dabei die ersten 10.663 Volkswagen 1500 (Typ 3)
1962: Im Februar 1962 wird die Kombivariante des Typ 3 als Volkswagen Variant eingeführt. Die erste Jahresproduktion des 1500 Karmann Ghia Coupé bleibt mit 8.653 Fahrzeugen hinter den Erwartungen. Vom Volkswagen 1500 werden bereits 127.324 Einheiten ausgeliefert, damit zählt er zu den erfolgreichsten europäischen Mittelklassemodellen. 8.541 Karmann Ghia (Typ 34) werden produziert, damit ist dies bereits das erfolgreichste Jahr für den Typ 34
1963: Im August debütiert der VW 1500 S mit Zweivergaser-Motor und 54 PS Leistung. Dieser Motor wird auch für den Karmann Ghia (Typ 34) lieferbar. Alle Typ 3 mit Detailmodifikationen an Blinkern und Heckleuchten, neuer 1500 S mit Chromelementen, dagegen 1500 N (wurde bisher als Volkswagen 1500 verkauft) mit einfacherer Ausstattung. Vom Volkswagen Typ 3 werden in diesem Jahr 181.809 Einheiten produziert
1964: In Australien beginnt die CKD-Produktion auch des Volkswagen Typ 3. Insgesamt werden in diesem Jahr in Australien 6.978 Volkswagen 1500 verkauft. Die australische CKD-Produktion von Volkswagen endet im Februar 1968, weil zollbegünstigte japanische Importe zunehmen. Mit 262.020 Einheiten erreicht die Jahresproduktion des Volkswagen 1500 (Typ 3) einen neuen Bestwert. Dennoch verfehlte der Volkswagen Typ 3 nun die Verkaufserwartungen, konnte er doch weder Opel Rekord noch Ford Taunus 17 M deklassieren
1965: Die Jahresproduktion des VW Käfer überspringt erstmals die Marke von einer Million Einheiten und der Volkswagen 1500 (Typ 3) wird in 261.915 Einheiten gebaut. Neu ist ab August das zweitürige Fließheckmodell Volkswagen 1600 TL (Touren-Limousine) mit 1,6-Liter-Motor und 54 PS, das von Kritikern auch als „Traurige Lösung“ oder „Traurige Linie“ belächelt wurde. Der Volkswagen 1500 N wird in 1500 A umbenannt, und leistet mit Flachstrom-Einvergaser 45 PS. Vordere Scheibenbremsen serienmäßig für alle Typ 3. Der Karmann Ghia Typ 34 mutiert zum 1600 L mit 54 PS und vorderen Scheibenbremsen
1966: Während die deutsche Autokonjunktur eine Delle erlebt, erreicht der Volkswagen Typ 3 einen neuen Jahres-Bestwert mit 311.701 gebauten Einheiten. Neu ist eine elektrische Anlage in 12-Volt-Ausführung, außerdem ist die Stufenhecklimousine nun auch als Volkswagen 1600 L lieferbar. Entfall der Modell-Bezeichnung Volkswagen 1500, stattdessen gibt es einen Volkswagen 1600 A mit dem bekannten, 45 PS leistenden 1,5 Liter-Motor
1967: Nun wird auch Volkswagen von den Auswirkungen der Rezession 1966/67 erreicht, die das Ende des Wirtschaftswunders ankündigt, die Produktion des Volkswagen Typ 3 fällt auf 201.800 Einheiten. Große Modellpflege für den Typ 3, der mit 1,5-Liter-Motor mit einem halbautomatischen Getriebe inklusive hydrodynamischem Drehmomentwandler lieferbar ist (kein Kuppeln notwendig). Dagegen erhält der Volkswagen 1600 eine optionale Dreigang-Vollautomatik. Alle Volkswagen werden mit einer stoßabsorbierenden Sicherheitslenksäule ausgestattet, die Automatik-Modelle mit einer neuen Doppelgelenk-Hinterachse (Schräglenker) ausgerüstet. Neu ist außerdem eine verbrauchssenkende elektronische Benzineinspritzung, die anfangs nur in Fahrzeuge für den US-Markt verbaut wird
1968: Kurt Lotz, seit Juni 1967 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Volkswagenwerk AG, tritt die Nachfolge des verstorbenen Heinrich Nordhoffs an. Im August wird der Volkswagen 411 vorgestellt unter dem Slogan „Der Große aus Wolfsburg“. Volkswagen 1600 LE und TLE mit Benzineinspritzung nun auch in Deutschland lieferbar. 244.427 Einheiten vom Volkswagen Typ 3 werden in diesem Jahr gebaut
1969: Die Jahresproduktion des Volkswagen Typ 3 steigt auf 267.358 Einheiten. Im August Facelift mit breiten Stoßstangen, großen Frontblinkern und Heckleuchten, anderer Position des Kennzeichens beim TL und grundsätzlich Schräglenkerachse statt Pendelachse. Im Juni wird die Produktion des Karmann Ghia (Typ 34) nach 42.505 Einheiten eingestellt
1970: Die Jahresproduktion des Volkswagen Typ 3 steigt weiter auf 272.031 Einheiten
1971: Rudolf Leiding wird neuer Vorstandsvorsitzender bei Volkswagen. Die Jahresproduktion des Volkswagen Typ 3 hat ihren Höhepunkt überschritten und fällt auf 234.224 Einheiten
1972: Vorstellung des Audi 80, aus dem ein Jahre später der Volkswagen Passat abgeleitet wird. Die Jahresproduktion der Volkswagen Typ 3 fällt auf 157.543 Einheiten
1973: Die Produktion der Volkswagen Typ 3 wird im Juli eingestellt nach 2.583.015 Einheiten, davon fast die Hälfte (1.202.483) als Kombi Variant. Nachfolger des Typ 3 wird der Volkswagen Passat
2021: Das Volkswagen Zeithaus in Wolfsburg und die Typ-3-Community feiern das Jubiläum 60 Jahre Volkswagen 1500/1600 (Typ 3)
Motorisierungen Volkswagen Typ 3 (Limousine/TL/Variant):
Volkswagen 1500 bzw. 1500 N (1961-1965) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 33 kW/45 PS, Vmax 125 km/h;
Volkswagen 1500 S (1963-1965) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 40 kW/54 PS, Vmax 135 km/h;
Volkswagen 1600 A bzw. 1500 A (1965-1973) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 33 kW/45 PS, Vmax 125 km/h;
Volkswagen 1500 (1965-1973) für Exportmärkte in Afrika mit niedrig verdichtetem 1,5-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 29 kW/40 PS, Vmax 120 km/h;
Volkswagen 1600 (1965-1973) für Exportmärkte in Afrika mit niedrig verdichtetem 1,6-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 37 kW/50 PS, Vmax 130 km/h;
Volkswagen 1600 L bzw. TL bzw. LE bzw. TLE (1965-1973) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 40 kW/54 PS, Vmax 135 km/h.
Karmann Ghia 1500 (Typ 34), (1961-1965) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 33 kW/45 PS, Vmax 133-137 km/h;
Karmann Ghia 1500 S (Typ 34) (1963-1965) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 40 kW/54 PS, Vmax 145-150 km/h;
Karmann Ghia 1600 L (1965-1969) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Boxer mit 40 kW/54 PS, Vmax 145-150 km/h.