60 Jahre Opel Kadett
Heute ist es die Neuauflage des Astra, mit der Opel den ewigen Widersacher aus Wolfsburg ärgern will. Ein Duell um die Vorherrschaft bei den Kompakten, das vor 60 Jahren mit dem Opel Kadett A seinen Anfang nahm. Tatsächlich avancierte schon dieser Kadett im Miniformat zum gefeierten Star, der sogar in Amerika Fans fand.
SP-X/Köln. Ob es dem neuen Opel Astra gelingen wird, am Thron des VW Golf als König der Kompakten zu rütteln, werden die nächsten Monate zeigen. Die Gene eines Volksautos trägt der Astra jedenfalls in sich, verkörpert er doch den modernen Nachfolger des legendären Opel Kadett. Dieser Verkaufschampion trug 1972 dazu bei, dass Opel erstmals VW im deutschen Zulassungsranking überholte, pünktlich zum zehnten Geburtstag der Modellreihe. Halt, werden Historiker einwenden, den Kadett gibt es doch schon seit 1936. Stimmt, aber die Produktionsanlagen dieses Bestsellers mussten nach dem Krieg an die Sowjetunion geliefert werden, und Opel begann mit der 1962 lancierten und gegen den VW Käfer ausgerichteten Neukonstruktion Kadett „A“ aus ebenfalls neuem Werk in Bochum eine frische Zählweise.
Kleinwagensegment neu definiert
Dieses 3,92 Meter kurze und 1,47 Meter schmale Volumenmodell definierte vor 60 Jahren das Kleinwagensegment neu – so hießen die Kompakten damals noch – und ließ alle Heckmotorkonstruktionen von VW, Renault, Fiat, NSU oder Simca schlagartig alt aussehen. Die Bänder im Werk Bochum belastete der effiziente und geräumige Frontmotor-Kadett A bis zur Kapazitätsgrenze, und sogar in der amerikanischen Heimat des damaligen Opel-Mutterkonzerns General Motors erzielte die in klaren Trapezlinien konturierte Kadett-Familie aus Limousine, Coupé und Kombi Achtungserfolge. Ein solides Fundament, auf dem die folgenden Kadett-Generationen aufbauten und so den Käfer kurzzeitig deklassierten. Plötzlich war Bochum das Wolfsburg des Ruhrgebiets und ein neuer Nabel der Kleinwagen-Welt.
Der Modellname Kadett ist fest im Sprachgebrauch verankert
Bochum und der Kadett sind längst Geschichte, und der neue Astra kommt aus Rüsselsheim. Aber noch heute nennen manche Menschen, ihren frisch erworbenen Kompakt-Opel „Kadett“ statt Astra – so fest konnte die Marke mit dem Blitz den Modellnamen Kadett im Sprachgebrauch verankern. Eine Erfolgsstory, die 1962 geschickt mit dem Kadett (A) – das Wort bezeichnet eigentlich einen Seeoffiziersanwärter – angelegt wurde. „Junger Mann aus gutem Haus“ mit dem modernsten Autowerk der Welt als „Geburtsstätte“: Die Opel-Werbung traf den Zeitgeist perfekt, der Kadett wurde „Freund“ genannt, „mit dem Sie auf Du und Du stehen und der mit Ihnen durch dick und dünn geht“.
Das Auto als Familienmitglied
Das Auto als neues Familienmitglied, diese Assoziation traf Menschen, die trotz Wirtschaftswunders jahrelang auf ein kompaktes Fahrzeug gespart hatten, mitten ins Herz. Selbst die Arbeiter, die das Einstiegsmodell ins deutsche Opel-Programm am Fließband montierten, fuhren anfangs meist noch mit dem Fahrrad zum Werkstor. Da folgten stolze Sparkönige nur zu gerne der seitenlangen Aufforderung in der Opel-Betriebsanleitung, „die liebevolle Pflege Ihres Kadett zum ausgesprochenen Hobby und den Wagen zur Visitenkarte zu machen.“
Autowäsche am Wochenende
Die Autowäsche am Wochenende wurde damals in deutschen Wohnsiedlungen Familien-Ritual und der blecherne „Freund“ ähnlich wie ein Kind stolz den Nachbarn zur Schau gestellt. Ganz besonders natürlich, wenn der Kadett mit teuren, aber angesagten Weißwandreifen, feinem „L“-Zierrat, als elegantes Coupé oder gar als chromgeschmückter Caravan-Kombi mit drei Sitzreihen auf nur 2,33 Meter Radstand für die Generation Baby-Boomer shampooniert, gespült, getrocknet und poliert wurde. Jedes Pflegedetail wurde minutiös erklärt im Kadett-Handbuch.
Maßstäbe im Kompakt-Segment
Tatsächlich war es die Modellvielfalt, mit der die kleinen Opel Maßstäbe im Kompakt-Segment setzten, schließlich gab es auch noch den Lieferwagen „Caravan Combi“. Nicht nur dies, der Kadett A Caravan war außerdem einer der ersten kompakten Kombis und zusammen mit dem größeren Rekord Caravan so erfolgreich, dass Mitte der 1960er Jahre jeder zweite in Deutschland verkaufte Kombi ein Opel war. Dies trotz Konkurrenz durch Ford Taunus Turnier und VW Variant. Alles Vorboten einer neuen Ära, die dann beim Kadett „B“ eine wahre Flut von 14 Karosserie-Varianten hervorbrachte.
Die Welt im Umbruch
Die Welt war 1962 im Umbruch und Opel spiegelte dies. Im Jahr als die Beatles vom Plattenproduzenten Decca abgelehnt wurden, weil Gitarrengruppen unmodern würden, als Sam Walton in den USA die das ganze Land überziehenden Wal-Mart-Supermärkte eröffnete, Discounter Aldi Deutschland in Nord und Süd aufgeteilt hatte, und GM entschied, einen kleinen Opel (Kadett) künftig über Buick-Händler im Land der Straßenkreuzer zu vertreiben sowie Kadett-Lizenzproduktionen auf allen Kontinenten einzurichten, in jenem Jahr begann für die deutsche GM-Dependenz eine neue Ära. „Fanfarenstoß in Richtung Wolfsburg!“ lauteten die fettesten Schlagzeilen zum Kadett A, die sogar den ebenfalls 1962 neu lancierten Taunus 12 M in den Schatten stellten.
Der GM-Käfer-Killer
Immerhin war den Opelanern ein Coup gelungen, den heute nicht einmal Elon Musk mit der Tesla-Fabrik in Brandenburg wiederholen konnte. Auf Direktive aus dem GM-Hauptquartier in Detroit entwickelte Opel seit 1957 in aller Heimlichkeit einen designierten Käfer-Killer für den ab 1960 in gut 20 Monaten ein neues Werk aus dem Boden gestampft wurde und in Betrieb ging.
„Opel Kadett – kurz gesagt O.K.“
Dieser kleine Opel sollte „Jung und voll Schwung“ sein, wie die Werbung zum Marktstart verkündete. Und gleichzeitig dem damals noch untadeligen Ruf hoher Zuverlässigkeit aller Opel-Modelle Ehre machen. „Opel Kadett – kurz gesagt O.K.“ lautete denn auch das selbstbewusste Motto einer Anzeigenkampagne zur Markteinführung. Immerhin hatte Opel mit 30 Erlkönigen über 1,5 Millionen Testkilometer auf Prüfgeländen bei Rüsselsheim und Milford (Michigan, USA), aber auch am Polarkreis zurückgelegt.
Gerade einmal 670 Kilogramm schwer
Adrenalinhaltige Emotionen – plötzlich sogar bei Familienvätern gefragt – konnte der Kadett A ebenfalls freisetzen. Der 29 kW/40 PS oder später optional 35 kW/48 PS leistende 1,0-Liter-Vierzylinder beschleunigte den gerade einmal 670 Kilogramm wiegenden Kadett auf damals fast sportliche Fahrleistungen, die denen des großen Rekord kaum nachstanden und die sich mit Dynamikern wie Renault Dauphine Gordini oder Glas 1004 messen konnten.
Dritter Platz in der GT-Klasse beim Rallye Monte Carlo
Dazu passte die Kombination des Kadett-Kraftwerks mit einem gleichfalls neuen, vollsynchronisierten Viergang-Getriebe mit sportiver Knüppelschaltung. Bei der Rallye Monte Carlo sicherte sich ein Opel Kadett A den dritten Platz in der GT-Klasse und bei der Langstreckenrallye Tour d’Europe fuhren Opel Kadett zuverlässig von 1963 bis 1967 vorne mit. Alles Bausteine, die das Image des preiswertesten Opels polierten.
1965 feierte Opel den 500.000sten Kadett A
Mit großem Getöse und einem Festakt in Bochum feierte Opel im Januar 1965 die Produktion des 500.000sten Kadett A. Eine halbe Million Konkurrenten für den Käfer, der sich damals bereits auf sein Zehn-Millionen-Jubiläum vorbereitete: Das entlockte VW-Boss Heinrich Nordhoff vermutlich nur ein Schmunzeln. Aber die große Stunde des Kadett sollte wie gesagt noch kommen, denn im Herbst 1965 fuhr bereits die nächste Generation ins Rampenlicht. Tragisch ist allein, dass der Kadett A, mit dem 1962 alles anfing, so schnell ins Abseits geriet. Verbraucht und verschrottet wie die meisten Massenmobile finden sich zum 60. Geburtstag kaum Überlebende.
Chronik Opel Kadett:
1936: Mit dem ersten Kadett präsentiert Opel einen bahnbrechend modernen Kleinwagen. Als Karosserieversionen gibt es zwei- bzw. viertürige Limousinen und eine zweitürige Cabrio-Limousine
1940: Kriegsbedingte Produktionseinstellung für den Kadett
1946: Die Produktionsanlagen für den Kadett werden demontiert und als Reparationsleistung an die UDSSR geliefert. Mit dem sowjetischen Modell Moskwitsch 400 lebt der Kadett ein Jahr später wieder auf
1957: Opel-Chefkonstrukteur Karl Stief erhält den Auftrag zur Entwicklung eines kompakten Opel, der als Konkurrent des Volkswagen Käfer geplant ist
1960: Am 20. Mai kommuniziert Opel die Errichtung eines neuen Werks für den Kadett auf einem ehemaligen Zechengelände in Bochum. Im September beginnen die Bauarbeiten
1962: Nach weniger als zwei Jahren Bauzeit für den Opel-Standort Bochum erfolgt der Produktionsanlauf für den Kadett A. Dieser ist ein frühes Beispiel von Leichtbau angesichts eines Leergewichts von nur 670 Kilogramm. Die Pressevorstellung erfolgt am 20. August. Der Kadett A ist im Laufe seines Produktzyklus in den Karosserieformen zweitürige Limousine, dreitüriger Kombi „Caravan“, Coupé und Lieferwagen „Caravan Combi“ lieferbar. Für den Kadett A werden Lizenzproduktionen in Belgien, Costa Rica, Dänemark, Irland, Portugal, Peru, auf den Philippinen, in Südafrika, Uruguay und Venezuela eingerichtet
1963: Nach nur neun Monaten läuft der 100.000ste Kadett vom Band und das Werk meldet volle Auslastung mit einer Tagesfertigung von knapp 1.000 Einheiten (960 Einheiten waren ursprünglich maximal vorgesehen). Bei der Rallye Monte Carlo sichert sich ein Opel Kadett den dritten Platz in der GT-Klasse. Bei der Langstreckenrallye Tour d’Europe erringen Opel Kadett von 1963 bis 1967 jeweils den ersten Platz. Im März debütieren auf dem Genfer Salon der Kadett L mit luxuriöserer Ausstattung und der Kadett Caravan. Im September folgt auf der IAA in Frankfurt die Premiere des Kadett Coupé. Zunächst exklusiv im Coupé wird ein 8 PS stärkerer Motor angeboten. Für den Kadett Caravan gibt es eine dritte Sitzreihe, diese sogenannte Kinderbank ist entgegen der Fahrtrichtung montiert. Im Oktober präsentiert der Karosseriebauer Welsch & Sohn, Mayen, ein Kadett Cabriolet, von dem insgesamt etwa 12 Einheiten produziert werden
1964: In Deutschland ist nach Opel-Angaben jedes zehnte neu zugelassene Auto ein Kadett. Der Kadett L wird im Februar durch das Frontdesign des Kadett Coupés aufgewertet. Auf dem Genfer Salon debütiert bei Italsuisse Frua ein Spider auf Kadett-Basis als Studie. Von Februar 1964 bis September 1965 wird der Kadett A in die USA exportiert und dort über 500 Buick-Händler vertrieben. Der Formel-3-Wagen Merkel „Panther 3“ nutzt einen Kadett-Motor. In diesem Jahr konnte Opel 274.370 Kadett ausliefern
1965: Am 12. Januar läuft der 500.000ste Kadett A in Bochum vom Band. Ab Januar sind Kadett Caravan und Limousine auch mit 48-PS-Motor lieferbar. Auf dem Genfer Salon wird ein zweiter Prototyp Italsuisse Frua Spider vorgestellt, der im Auftrag von Opel entsteht. Die Carrozzeria Vignale präsentiert ebenfalls eine Spider-Studie in Genf, die später zum Coupé umgebaut wird und im November auf dem Turiner Salon debütiert. Klassensiege bei der Tulpenrallye in Holland und der Internationalen DMV-Eifel-Rallye. Im September Einführung des Kadett B, der als erster Kadett Produktionsmillionär wird
1972: Opel überholt Volkswagen in der deutschen Zulassungsstatistik dank des erfolgreichen Kadett B
1991: Im August Vorstellung der ersten Generation des Opel Astra als Nachfolger des Kadett E
2022: Opel feiert den Marktstart einer neuen Astra-Generation, passgenau zum 60. Jahrestag des Vorgängers Kadett A
Ausgewählte Produktionszahlen Opel Kadett:
Opel Kadett A insgesamt (1962 bis 1965): 649.512 Einheiten. Davon u.a. Standard-Limousine 342.764, Standard-Limousine mit Schiebedach 11.422, Coupé 53.468, Luxus-Limousine 70.238, Luxus-Limousine mit Schiebedach 45.004 und Caravan 126.616
Opel Kadett insgesamt (1936-1991): 11.059.702 Einheiten
Technische Daten Opel Kadett A:
Limousine (zweitürig), Coupé, Kombi (dreitürig), Länge: 3,92-3,99 Meter, Breite: 1,43-1,47 Meter, Höhe: 1,41-1,48 Meter, Radstand: 2,33 Meter, Leergewicht 670-720 kg; 1,0-Liter-Vierzylinder-Benziner, 4-Gang-Getriebe, 29 kW/40 PS bzw. 35 kW/48 PS, max Drehmoment 71 Nm bei 2.200-3.000/min bzw. 71 Nm bei 2.800-3.600/min, Hinterradantrieb, 0-100 km/h: 26,0 s bzw. 19,5 s, Vmax: 120 bzw. 136 km/h, Normverbrauch: 7,0 Liter Normalbenzin.