50 Jahre Zwölfzylinder-Limousinen
Die Uhr für diese einst gefeierten Meisterwerke des Motorenbaus unter den Hauben staatstragender Limousinen zeigt eine Minute vor zwölf: Für monumentale V12 spielt das Elektrozeitalter gerade den Schlussakkord. Ob bei Jaguar, BMW, Audi oder VW: Das Zylinder-Dutzend hat nach 50 Jahren als Insignien von Luxus und Macht ausgedient.
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SP-X/Köln. Eigentlich sollten lokal emissionsfreie Highend-Stromer wie Mercedes EQS, BMW i7 oder der kommende vollelektrische Rolls-Royce als visionäre Luxuslimousinen die Reichen und Mächtigen so begeistern, dass kein Raum bleibt für sentimentale Abschiedsgefühle. Andererseits wissen nicht nur traditionsbewusste Technikfreaks um die Faszination der seit genau 50 Jahren in starken Luxuslinern eingesetzten Zwölfzylinder-Motoren. Meist als V12, vom VW-Konzern aber auch in W12-Anordnung gebaut, setzen diese Triebwerke Leistungs-Maßstäbe in der teuersten Fahrzeugklasse, übertroffen nur von sportiven Hypercars.

„Schnellste Grossserienlimousine der Welt“
Tatsächlich hatte sich schon die erste europäische Zwölfzylinder-Limousine der Nachkriegsära, der von Jaguar-Chef Sir William Lyons höchstpersönlich konzipierte und 1972 präsentierte XJ12, mit diesem Prädikat geschmückt: „Schnellste Großserienlimousine der Welt“. Im englischen Königshaus bevorzugte fortan die legendäre „Queen Mum“ Reisen mit dem V12-Jaguar oder dem Parallelmodell Daimler Double Six. Es dauerte nicht lange, bis der Erfolg der Engländer mit ihrer souveränen Laufruhe und Leistungsentfaltung andere Premiumplayer aufs Spielfeld lockte. BMW hatte schon 1974 einen 5,0-Liter-V12 in petto, aber dann verlangten Ölkrisen und veränderte Märkte eine Verschiebung der Pläne für die trink- und emissionsfreudigen V12. 1987 war es aber soweit: Mit dem 750i (E32) zündete BMW den Wettlauf um den weltbesten Prestigemotor – Abgaskatalysator inklusive.

Leistungswettrüsten in der Oberklasse
Knapp 60 Jahre nachdem Maybach (1929) und Horch (1931) die ersten deutschen Zwölfender als Maßstab majestätischer Motoren etablierten hatten, attestierte die Fachwelt den Münchner Motorenwerkern „das edelste Triebwerk“ der Moderne entwickelt zu haben, wie BMW stolz kommunizierte. Mit 220 kW/300 PS starkem 5,0-Liter-V12 brachten die BMW 750i/750iL Bewegung in die Oberklasse und lösten ein noch nie da gewesenes Leistungswettrüsten in der weltweiten Luxusliga aus. „BMW überholt alle“ titelte die Fachpresse nach ersten Testfahrten und bezog sich dabei nicht nur auf die Vmax von 250 km/h. Ohne Abregelung wären sogar 270 km/h möglich gewesen, es fehlte jedoch an adäquaten Reifen. Noch wichtiger war der Prestigefaktor des V12, der die wohlsituierte Kundenklientel euphorisierte. So zählte BMW schon vor der Premiere über 3.000 Blindbestellungen für das V12-Flaggschiff, das die Mercedes S-Klasse erstmals von Vorstandsparkplätzen verdrängte – bis die Schwaben ihre S-Klasse (W140) 1991 zum 600 SEL krönten. Dessen 6,0-Liter-V12 kam auf 300kW/408 PS, ein Gruß Richtung München, wo 300 PS genügen mussten.

USA weltweit wichtigster Luxusmarkt
Allerdings zielten die BMW 750i und 750iL nicht nur auf die Käufer der Mercedes S-Klasse. Vielmehr konterten die ersten Zwölfzylinder mit Katalysator auch erfolgreich die V12-Flotte von Jaguar und Daimler, die 1997 die Segel strich und fortan auf Kompressor-verstärkte V8 vertraute. In Nordamerika, weltweit wichtigster Luxusmarkt, galt der 5,02 Meter lange 750iL sogar als Alternative zu Rolls-Royce Silver Spirit und Bentley Mulsanne. Welche Klasse das bayerische Kraftwerk besaß, bestätigte Rolls-Royce 1998, denn nun wurde der Silver Seraph mit dem BMW-V12 ausgerüstet. Fünf Jahre später war Rolls-Royce Bestandteil der BMW Group und der erste Phantom V12 präsentierte sich als Palast auf Rädern mit 3,82 Meter Radstand, bei dem ein 6,7-Liter-Motor für höchste Laufkultur bürgte. Bentley – mittlerweile Bestandteil des VW-Konzerns – blieb die Antwort nicht schuldig: Im 2005 eingeführten Continental Flying Spur arbeitete ein 6,0-Liter-W12 aus dem VW-Baukasten, der auf bis zu 449 kW/610 PS und 322 km/h Vmax kam, schneller war damals kein V12-Viertürer.

VWs Luxuslimousine
Dies entsprach ganz den Vorstellungen des damaligen VW-Konzernchefs Ferdinand Piech, der sogar die Stammmarke Volkswagen dort etablieren wollte, wo die Luft dünn ist, aber die Gewinne groß sind. Neben einem W12-Sportwagen, der allerdings Concept Car blieb, sollte der Phaeton als bestes Auto der Welt reüssieren. Angekündigt wurde der Phaeton bereits auf der IAA 1999, die Produktion startete aber erst 2002 in der eigens errichteten Gläsernen Manufaktur in Dresden. Zwar teilte sich der Phaeton Bauteile mit Bentley, dafür kostete er als Zwölfzylinder so viel wie zwölf Fox, das VW-Einstiegsmodell.

Phaeton in China beliebt
Fatal wurde es, wenn ein Phaeton im Händlerschauraum Seite an Seite mit dem Fox um Käufer warb. So ließen sich keine S-Klasse-Fahrer gewinnen. Anders in Asien, wohin VW schon bald die meisten Phaeton verkaufte. Vor allem Chinas Neureiche begeisterten sich für die Luxuskarosse, deren Passat-ähnliche Linienführung die hohen Anschaffungskosten geschickt verbarg. Tatsächlich fand der Phaeton im Reich der Mitte sogar mehr Fans als der erste ernsthafte chinesische V12-Anlauf, der 2014 lancierte Hongqi L5, eine 5,56 Meter lange Limousine mit 6,0-Liter-V12 unter der Haube. In die 2020er Jahre soll es bei Hongqi jedoch mit elektrischer Ruhe gehen.

Zwölfzylinder im Toyota Century
Und die Japaner? Im Land der aufgehenden Sonne beobachtete besonders die Familie Toyoda sehr genau, was die westlichen Leitmarken antrieb. Lexus, die noble Toyota-Tochter, trat 1989 an, begnügte sich jedoch mit laufruhigen V8, um die gewohnte Rangordnung in den amerikanischen Premium-Verkaufscharts aufzumischen. Für Kaiser Akihito und mächtige Wirtschaftsmagnaten gab es dagegen 1997 den ersten sanften japanischen Zwölfzylinder im Toyota Century, eine Ära, die 20 Jahre später zugunsten eines V8 mit Hybridtechnik endete.

Audi A8 mit 6,0-Liter-W12-Spitzenmotorisierung
Präsidenten, Kanzler und Könige mit Zwölfzylinder-Insignien ausstatten, das wollte auch VW-Boss Ferdinand Piech. Deshalb rüstete er zusätzlich Audi auf. Der erste A8 (D2) löste unter den Bundeskanzlern Gerhard Schröder und Angela Merkel die S-Klasse ab und dazu gab es ab 2001 eine 6,0-Liter-W12-Spitzenmotorisierung. Für den damaligen DaimlerChrysler-Konzern war damit klar: Jetzt musste dem ganzen Globus gezeigt werden, dass die Stuttgarter Marken über allen anderen strahlen. Dazu hielt die S-Klasse (W220) als S 65 AMG damals unglaubliche 1.000 Nm Drehmoment und 450 kW/612 PS bereit und die Marke Maybach wurde revitalisiert mit den feudalen V12-Prestigelimousinen Maybach 57 und 62. Allerdings konnten die bis 6,17 Meter langen Riesen bei den Schönen und Reichen nicht einmal verfangen, als 2009 der mythische Modellname Maybach Zeppelin wiederbelebt wurde. Hollywood, China, Naher Osten und Königshaus präferierten Luxusmarken, die kontinuierlich am Markt waren, etwa Mercedes.

Mercedes-Maybach steht für ultimativen Luxus
Deshalb festigt seit 2014 die Marke Mercedes-Maybach den Vormachtsanspruch der S-Klasse als Symbol für ultimativen Luxus. Und während die V12 bei Audi (A8) längst Geschichte sind und auch BMW im Juni 2022 seine letzte Zwölfzylinder-Maschine in einen 7er montiert, gibt es die S-Klasse vorläufig weiter als Mercedes-Maybach S 680 mit provozierendem V12 in einer Welt, die statt Verbrenner-Raffinesse elektrische Reichweiten und das Leistungsvermögen von Stromern diskutiert. Dennoch: Die Uhr für Zwölfender ist fast abgelaufen, und bald wird auch für den allerletzten V12 die Geisterstunde beginnen.
