50 Jahre Porsche 911 Carrera RS
Beflügelt durch einen Entenbürzel und federleichtes Gewicht gelang diesem Porsche vor 50 Jahren der Sprung in die Bestenliste der Sprinter. Der Carrera RS machte den großen Heckspoiler gesellschaftsfähig und gilt als Meilenstein auf dem Weg zum Turbo-Elfer. Vor allem aber setzte Deutschlands schnellstes Auto Adrenalin frei, auf Straße und Strecke.
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SP-X/Köln. Dieses Auto war pure Provokation: Passgenau zur Einführung des umstrittenen Tempolimits von 100 km/h auf zweispurigen Bundes- und Landstraßen präsentierte Porsche 1972 das laut Marketing „schnellste Serien-Automobil deutscher Fabrikation“, noch dazu mit einem spektakulären Spoiler am Heck als neuartigem Speedsymbol. Damit auch wirklich jeder wusste, „hier kommt die Krönung des 911-Programms“, trug der designierte König von Ideallinien und Rundenrekorden den Schriftzug Carrera großflächig an den Fahrzeugflanken sowie dezenter am „Entenbürzel“, wie der Volksmund den Spoiler über dem 154 kW/210 PS freisetzenden Boxermotor nannte. Carrera, so hieß zuletzt Anfang der 1960er der stärkste und im Motorsport auf Sieg abonnierte Porsche 356.
Emotionen und Erfolge im Rennsport
Auch beim 911 Carrera RS ginge es um Emotionen und Erfolge im Rennsport und keineswegs um Raserei auf öffentlichen Straßen, beruhigte Porsche. Viele Kunden seien Hobbyrennfahrer, die ein neues Sportgerät benötigten, überdies wollten die Stuttgarter in GT-Championaten den dort dominanten Coupés BMW CSL und Ford Capri RS Kontra geben. So vermied Porsche den Sturm der Entrüstung, der ein Jahr später um das Flügelwerk des BMW 2002 Turbo und seinen in Spiegelschrift fixierten Typenschriftzug tobte. Stattdessen löste der Carrera RS wie ein technisches Kunstwerk Begeisterung aus, dieses Auto wollte jeder haben oder zumindest sehen, sei es als Trumpf im Kartenspiel, als Fotomotiv auf Messeständen oder als Titelstory in Zeitschriften. Dort faszinierte der Über-Elfer mehr als Ferrari Daytona und andere V12.
Auf 500 Einheiten limitiert
Möglich machte dies auch eine magische Zahl: „5“, diesen Wert vor dem Komma für den Sprint auf Landstraßentempo realisierte damals als einziges Serien-Supercar der Carrera RS. Schnell mussten allerdings auch Kaufwillige sein, hatte doch Porsche sein bis dahin stärkstes und mit 2,7-Litern hubraumgrößtes Auto mit Boxer-Kraftwerk (20 PS bzw. rund 350 cm³ mehr als ein 911 S) auf 500 Einheiten limitiert, mithin exakt die von der FIA geforderte Stückzahl zur Motorsport-Homologation. Am Ende wurden es mehr als drei Mal so viele Carrera RS und RSR – das eigentliche Rennauto. Die selbstbewussten Preise ab 33.000 Mark – gut 40 Prozent mehr als ein Porsche 911 T und sogar das Doppelte eines Ford Capri RS – passten offenbar zu den Ambitionen des Flügelstürmers mit Carrera-Schriftzügen.
Die Magie des Porsche 911 Carrera RS
Benannt nach dem Straßenklassiker Carrera Panamericana in Mexiko und Synonym für Siegfähigkeit, entfaltete der 911 Carrera RS seine eigene Magie. Schon einen Monat nach Marktstart war die Startauflage vergriffen und Porsche erhöhte mehrmals die geplante Produktion. Als im Juli 1973 der 1.580ste und letzte Carrera RS gebaut wurde, stand bereits das 911 G-Modell in den Startlöchern, um die Erfolgsstory des Leistungsträgers fortzuschreiben. Welch gutes Langzeit-Investment der Erwerb eines frühen 911 RS sein konnte, zeigte sich nach der Jahrtausendwende, als die ersten Carrera mit Kotflügelverbreiterungen und Spoilern Liebhaberpreise nahe der Eine-Million-Euro-Marke erzielten.
Betuchte Sportfahrer und Prominente
Zurück zu den Anfängen vor 50 Jahren. Das Kalkül des neu inthronisierten Porsche-Vorstandsvorsitzenden Ernst Fuhrmann war aufgegangen: Der wilde Carrera RS, lackiert vorzugsweise in Hingucker-Farben wie Grand-Prix-Weiß mit farbig abgesetzten Rädern, grellem Signalgelb oder leuchtendem Blutorange, öffnete die Scheckbücher betuchter Sportfahrer und Prominenter – darunter Fußballstars wie Uli Hoeneß – und rückte so auch die restliche 911-Palette wieder ins Rampenlicht, die sich bald durch Zubehör im Carrera-Look optisch nachschärfen ließ. Gänsehaut-Gefühle verursachte der Schwabenpfeil mit Entenbürzel sogar bei Autotestern der Fachmedien, genügten ihm doch 154 kW/210 PS, um italienische Highspeed-Ikonen wie Ferrari 365 GTB/4 und Maserati Ghibli beim Beschleunigungsderby zu entzaubern.
Carrera RSR: Unschlagbar schnell
Vom Katapulteffekt war die Rede, wenn der erst bei 7.300 Touren begrenzte Boxer in rund zehn Sekunden auf Tempo 140 jagte. Erst oberhalb von 200 km/h – die Höchstgeschwindigkeit des Carrera RS lag bei 245 km/h – konnten sich Maranello-V12 und Modena-V8 auf Autostrada del Sole wie deutscher Autobahn nachdrücklich absetzen. Auf legendären Rennstrecken wie der Targa Florio sah es allerdings anders aus, dort erwies sich die mindestens 221 kW/300 PS leistende, extrem leichte Version Carrera RSR für die Favoriten von Ferrari, Alfa und Lancia als unschlagbarer schneller Racer. Auch die 24 Stunden von Daytona und die prestigeträchtigen 12 Stunden von Sebring sahen Carrera RSR vorn und sogar der Weltmeistertitel der Challenge Mondiale 1973 (umfasste die Läufe Nürburgring, Targa Florio, Spa und Le Mans) ging an Porsche.
Keinen Kniff ausgelassen um Gewicht zu sparen
Leicht, leichter und noch leichter lautete auch das Leistungs-Geheimnis der voll alltagstauglichen Homologationsversion des 911 Carrera RS. Schon das erste Pressecommuniqué anlässlich der Premiere des Überfliegers auf dem Pariser Salon sprach von vereinfachter Innenausstattung und Verwendung von Kunststoff und Aluminium, um ein Federgewicht von 900 Kilogramm zu erreichen. Ein PS traf beim Carrera RS auf nur noch 4,3 Kilogramm gegenüber 5,7 Kilo beim bisherigen Toptyp 911 S. Tatsächlich hatten die cleveren Porsche-Techniker keinen Kniff ausgelassen, um beim Carrera jedes überflüssige Gramm zu eliminieren. Spoiler und Motorhaube bestanden aus Kunststoff, die Sicherheitsverglasung wog weniger, die Fondsitze entfielen, vorne kündeten harte Schalensitze von Rennambitionen, Dämmmaterial war ebenso verzichtbar wie Handschuhfachdeckel, Türarmlehnen, Ablagefächer, Ersatzrad und die Beifahrer-Sonnenblende. Als Türöffner genügte ein Lederriemen und statt Typenemblemen gab es Aufkleber. Wer wollte, konnte auch noch die auffälligen Carrera-Schriftzüge an den Fahrzeugflanken abbestellen.
Touring-Paket mit mehr Komfort
Seit jeher gilt bei Porsche: Was sich auf der Rennstrecke bewährt, soll auch den Kunden zugutekommen – und dennoch wählten am Ende nur 200 Kunden diese magersüchtige Carrera-Sport-Ausstattung. Dagegen präferierten 1.308 Besteller ein Touring-Paket mit mehr Komfort. Im Herbst 1973 war die Geschichte des ersten 911 Carrera RS eigentlich bereits zu Ende erzählt und doch feierte dieses Auto noch ein spezielles Revival. War doch die Frankfurter IAA der Premierenort für den ersten Prototyp des Porsche 911 Turbo, der 1974 in Serienproduktion ein neues Leistungszeitalter einleitete.
Star-Dirigent Karajan fuhr eine Sonderanfertigung
Dieses Auto orderte auch einer der prominentesten Porsche-Fahrer: Herbert von Karajan, weltweit gefeierter Star-Dirigent. Allerdings durfte es kein gewöhnlicher Turbo sein, sondern Herbert von Karajan orderte eine durch Porsche-Chef Ernst Fuhrmann freigegebene Sonderanfertigung, die dem federleichten Carrera RS ein Denkmal setzte. So kombinierte der Turbo das Rennsport-Chassis des Carrera RSR mit der Karosserie des Carrera RS und dazu gab es die Martini-Racing-Farben des 911 Carrera RSR Turbo 2.1, der in Le Mans 1974 Platz zwei errang. So viel Aufwand war dem Dirigenten ein eigenes Kunstwerk wert: Der Porsche Carrera RS schmückt das Klassik-Album „Berühmte Ouvertüren“.
Chronik Porsche 911 Carrera RS:
1955: Ursprung der Modellbezeichnung Carrera. Der Porsche 356 debütiert als Sportversion „1500 GS“ und in der Folge als Porsche Carrera mit 100 PS (Namensgeber ist das amerikanische Langstreckenrennen Carrera Panamericana) und Ende der 1950er in der Evolutionsstufe Carrera 1600 GT mit 115 PS. Kennzeichen der 356 Carrera sind Leichtmetallteile, Schalensitze etc.
1963: Weltpremiere des Porsche 901 auf der Frankfurter IAA. Da die Namensrechte an der Ziffernfolge 901 bei Peugeot liegen, erfolgt der Serienstart des neuen Porsche unter der Modellbezeichnung 911 mit neuem 130-PS-Sechszylinder
1972: Rückzug aller Familienmitglieder (darunter Ferdinand Piech und 911-Designer Alexander Porsche) aus dem operativen Geschäft des Unternehmens. Ernst Fuhrmann wird am 1. März Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Porsche AG. Porsche hat dem 911 eine Hubraumvergrößerung auf 2,4 Liter spendiert und Porsche entschließt sich zur Entwicklung eines Homologationsmodells, das das Potential mitbringt, die in der Deutschen Rennsportmeisterschaft dominierenden Ford Capri und BMW Coupé zu übertreffen. Am 4. Oktober erfolgt in Paris auf dem VW-Porsche-Stand das Debüt des 911 Carrera 2.7 RS mit Heckspoiler als schnellstes deutsches Serienauto zum Preis von 33.000 Mark. Der 210 PS starke (130 PS hat der Basis-Elfer und 190 PS der 911 S) Carrera baut auf dem 911 S auf, so dass der Code 911 SC für „Sport“ und „Carrera“ in den Unterlagen fixiert wird. Optisch differenziert sich der Carrera RS von anderen 911 durch einen Frontspoiler, Heckspoiler aus GFK, ausgestellte Kotflügel und unterschiedliche Reifendimensionen an Vorder- und Hinterrädern (vorne 185/70 VR 15 und hinten 215/60 VR15). Zur Gewichtsreduktion besteht die Motorhaube aus GFK, die Fronthaube aus dünnem Stahlblech und statt Porsche-Logo gibt es auf Aufkleber. Während der RS in Touring-Version noch über Komfort-Features verfügt, verzichtet der RS in Sport-Spezifikation auf Rücksitze, Dämmmaterial, Uhr, Handschuhfachdeckel, Aschenbecher, Türarmlehnen, Ablagefächer, Ersatzrad und zweite Batterie, aber auch auf Teppichboden zugunsten von Gummimatten und die Beifahrer-Sonnenblenden. Die Türverkleidungen bestehen aus einer Plastikbespannung, betätigt werden konnte die Tür mit einem Lederriemen. In der Rennabteilung beginnt im Herbst die Entwicklung der Leichtbauversion Carrera RSR für Motorsporteinsätze
1973: Im Januar sind 1.000 Einheiten des Carrera RS verkauft. Porsche entscheidet sich nun, ein Leichtbaucoupé mit Turbomotor zu realisieren, das auf der IAA in Frankfurt debütiert, allerdings als seriennahe Studie. Insgesamt wurden bis Juli 1.580 Carrera RS 2.7 gebaut, aber auch das 911 G-Modell gibt es bis 1975 mit 210-PS-Motor, dies sogar als Targa. Der Heckspoiler des Carrera RS wird im Zubehörgeschäft ein Bestseller, soll er doch andere Elfer optisch nachschärfen. Der Carrera RS startet bei den 24 Stunden von Le Mans, auf Platz acht in der Gesamtwertung läuft ein RS von Porsche Kremer Racing ein, der zugleich Gewinner des Energieeffizienz-Indexes wird. Platz vier erreicht ein 911 Carrera RSR von Martini Racing. Der Carrera 2.8 RSR gewinnt im Januar 1973 die 24 Stunden von Daytona, die Targa Florio (mit Gijs van Lennep und Herbert Müller) und die 12 Stunden von Sebring. Der Titel der Challenge Mondiale (die Rennen Nürburgring, Targa Florio, Spa und Le Mans) geht an den 911 Carrera RSR. Der Carrera RSR 2.8 leistet 300 PS, erfüllt die Regularien der GT-Sportwagen nach Gruppe 4 und kostet ab 59.000 Mark
1974: Der 260 PS starke Porsche 911 Turbo feiert Premiere als weltweit erster Seriensportwagen mit Abgasturboaufladung. Herbert von Karajan, Star-Dirigent und begeisterter Porsche-Fahrer, bestellt eine Sonderanfertigung des Turbo, unter 1.000 Kilogramm leicht. Porsche-Vorstandsvorsitzender Ernst Fuhrmann lässt diese Sonderanfertigung bauen, dies mit dem Rennsport-Chassis des Carrera RSR und der Karosserie des Carrera RS. Für die Nutzung der Martini-Racing-Farben des 911 Carrera RSR Turbo 2.1, der bei den 24 Stunden von Le Mans 1974 Platz zwei erringt, bekommt Porsche eine Sondererlaubnis des Wermutherstellers Rossi. Von Karajan nutzt ein Bild seines Porsche Carrera RS als Titelmotiv des Albums „Berühmte Ouvertüren“. Porsche legt 109 Einheiten eines RS 3.0 mit 230 PS und Turbo-Heckspoiler auf
1977: Im Juni erfolgt die Auslieferung des 250.000sten Porsche seit 1948. Bis zum Sommer gibt es den Porsche 911 Carrera, der dann durch den komfortbetonten 911 SC mit 3,0-Liter-Saugmotor und serienmäßigem Fünfganggetriebe abgelöst wird
1984: Als G-Modell leistet der Carrera RS 250 PS
1991: Als Carrera RS knackt der Porsche 911 (Baureihe 964) die 300-PS-Marke, ein Leistungswert, der vier Jahre später auch vom Carrera RS der Baureihe 993 gehalten wird
2003: Immerhin 381 PS stark ist der 911 GT3 RS der Baureihe 996
2006: In der Baureihe 997 bringt es der 911 GT3 RS auf 415 PS Leistung, drei Jahre später sind es 450 PS
2015: Auf dem Genfer Salon debütiert ein 911 GT3 RS der Baureihe 991, nun erstmals mit 500 PS Leistung aus einem Sechszylinder-Saugboxer
2017: Porsche geht eine Kooperation mit Microsoft ein, die sich in den Rennspielserien Forza Motorsport und Forza Horizon spiegelt. Für Forza Horizon 3 ist deshalb ein historischer 911 Carrera RS 2.7 von 1973 in einem „Porsche-Paket“ als Download verfügbar. Auktionshäuser wie Sotheby’s schätzen den Wert früher RS 2.7 auf fast eine Million Dollar
2022: Der Porsche 911 Carrera RS wird 50 und von der Porsche-Community gefeiert
Produktionszahlen Porsche 911 Carrera RS:
Insgesamt 1.580 Einheiten, davon 200 Einheiten Sport (M 471), 1.308 Einheiten Touring (M 472), 55 Einheiten RSR (Motorsportversion mit 2,8-Liter-Sechszylinder und 3,0-Liter-Sechszlinder; M 491) sowie 17 Einheiten RSH (Leichtbauversion).
Technische Daten Porsche 911 Carrera RS:
Sportwagen mit Heckmotor in Boxer-Bauweise; Länge: 4,15 Meter, Breite: 1,65 Meter, Höhe: 1,32 Meter, Radstand: 2,27 Meter, Kofferraumvolumen: ab 200 Liter; Leergewicht ca. 900 kg (trocken) bzw. 960 kg (mit gefülltem Tank) bzw. 975 kg (Sport in Serienversion) bzw. 1.075 kg (Touring in Serienversion); 2,7-Liter-Sechszylinder-Benziner in Boxerbauweise, 5-Gang-Getriebe, 154 kW/210 PS, Leistungsgewicht 4,29 kg/PS, max Drehmoment 255 Nm bei 5.100/min, Hinterradantrieb, 0-100 km/h: 5,8 s, Vmax: 245 km/h, Normverbrauch: 10,8 Liter Normalbenzin, Preis ab 33.000 Mark (Oktober 1972) bzw. ab 34.000 Mark (Februar 1973).