40 Jahre Nissan Micra
Mit diesem knuddeligen Knirps bewiesen die Japaner endgültig, dass kultige Cityflitzer keine europäische Spezialität sind. Der Nissan Micra verzauberte die Kleinwagenwelt ab 1982 mit Charme und Zuverlässigkeit, und er verkaufte sich in England zeitweise besser als der Ur-Mini. Neu aufladen soll die 40-jährige Erfolgsgeschichte künftig ein Stromer.
SP-X/Köln. Knallige Farben, unwiderstehliche Kulleraugen und Kuscheltier-Formen, damit gewann der Nissan Micra als erster japanischer Kleinwagen auch in Europa Kultstatus. Auf diesen seit 1982 in fünf Generationen gebauten fernöstlichen Cityflitzer fuhren die Massen zeitweise mehr ab als auf britische Minis oder südeuropäische Lifestylemobile.

„Europas Auto des Jahres“ 1993
Tatsächlich avancierte der kleinste Nissan sogar zum ersten Asiaten, der in England in Millionenauflage vom Band lief. Insgesamt rund 2,4 Millionen und damit fast jeden zweiten Micra baute von 1992 bis 2010 allein das Werk Sunderland. Aber der Micra setzte auch auf andere Karrierebooster: Zuverlässigkeitsrankings kürten den Kleinen zum Qualitätschampion, Designkritiker prämierten die skulpturalen Formen und Medien wählten den Micra 1993 zu „Europas Auto des Jahres“, was vorher noch keinem Modell einer asiatischen Marke gelungen war.

Ein Dauerbrenner
Bis heute ist der Micra ein Dauerbrenner, der sich ständig neu erfindet und für Überraschungen gut ist: Zeigte sich der erste Micra 1982 in kantiger Eleganz, kleideten sich die Generationen zwei (1992) und drei (2003) in einem Knuddel-Look zum Liebhaben, ehe Micra vier 2010 vorführte, dass der Kleine auch im Weltauto-Design aus indischer Fertigung Emotionen wecken kann.

Der Winzling wird erwachsen
Micra Nummer fünf machte 2016 wieder alles anders, denn nun wurde der Winzling erwachsen. Vier Meter Länge bedeuteten 26 Zentimeter Zuwachs gegenüber früher, hinzu kam eine Produktion beim Nissan-Allianzpartner Renault – und Preise, die fast Premium vermittelten. Die Erfolgskurve flachte ab, also folgt heute der nächste Schritt nach vorn: Passgenau zum 40. Geburtstag seines kleinsten Stars kündigt Nissan einen elektrischen Nachfolger an.

Micra als Nachfolger des Cherry
Es ist die Kraft der Kirschblüte, die in Japan alles erneuert und in frischer Formen- und Farbenvielfalt hervorbringt. Genau deshalb trug ab 1970 der Nissan Cherry als erster Frontantriebs-Kleinwagen made in Japan die Kirsche im Namen – und der Micra als Nachfolger des Cherry feierte seine Markteinführung 1982 im Frühlingsmonat März unter vom Wind aufgewirbelten Kirchblüten. March (englisch für „März“) nannte Nissan seinen 3,73 Meter kurzen Mini-Star deshalb auf dem Heimatmarkt, weltweit sorgte der charmante Kleine jedoch als Micra für Furore.

Gebaut in merry old England
Eine geniale Entscheidung, denn als Micra knüpfte der Nippon-Knirps auch an die Karriere seines namensähnlichen Vorbilds britischer Herkunft an. Tatsächlich erfreute sich der englische (Ur)-Mini im Land der aufgehenden Sonne bis zum Ende seiner 30-jährigen Produktionszeit besonderer Popularität. Der Micra als Erbe des Mini? Unvorstellbar, auch für Naganori Ito, den Chefkonstrukteur des ersten Micra (K10). Aber Ito-san ließ sich durch den lebensfrohen Spirit des Mini inspirieren und kleidete den Micra in aufregend vielfältige Formen. In zweiter Auflage gelang es dem Micra (K11) sogar, den Mini zeitweise in den Zulassungsrankings zu überholen – gebaut in merry old England, wo der Japaner zum Favoriten für Fahranfänger aufstieg.

Farbkleckse ins Großstadtgrau
Fröhliche Farbkleckse ins Großstadtgrau zu setzen, das vermochte aber schon der frühe Micra (K10), nicht zuletzt mit heiß begehrten Sondereditionen in origineller Formgebung. Als Rechtslenker sollten sie eigentlich japanischen Kunden vorbehalten bleiben, aber eine kleine Zahl dieser Designjuwelen fand immer den Weg nach Europa. Es begann 1985 mit dem in rundliche Bio-Formen gekleideten Be-1, der die Konturen des klassischen Mini Cooper in die Moderne übertrug – fünfzehn Jahre vor dem New Mini von BMW. Dann kam der praktische Kastenwagen Escargot (französisch für „Schnecke“) im Retrodesign. Ein Auto, das Designelemente französischer Spezialitäten wie des Citroen 2 CV Kastenwagens zitierte.

Schon 1983 gab es den Kleinen als Electric Car
Ebenfalls an Vorbilder aus den 1950ern erinnerte der Nissan Pao mit Pastellfarben, außenliegenden Scharnieren für Türen und optionalem Stoffrolldach. Genau dieses Frischluftsymbol feierte auch der Figaro, ein Retro-Coupé, das Assoziationen zu europäischen Klassikern à la Gutbrod Superior weckte. Nur 20.000 Figaro sollten gebaut werden, 300.000 Fans aber schickten Bestellungen. So sah sich Nissan gezwungen, eine Lotterie zur Zuteilung der ab 1991 gebauten Figaro durchzuführen. In jenem Jahr erreichte der in klaren, italienisch anmutenden Kanten gezeichnete konventionelle Micra (K10) das Ende seiner Laufzeit, die weitere Highlights umfasste. So gab es den Kleinen schon 1983 als Electric Car, gefolgt 1987 vom batterieelektrischen EV-2 Cabrio. Dieser Sonnensegler blieb zwar nur ein Concept Car, aber der nächste Micra (K11) avancierte mit elektrisch versenkbarem Verdeck in Asien zum Sommerhit.

Einen Hundewelpen vor Augen
Während sich die Japaner schon früh an Kompressor-Micra mit 81 kW/110 PS erfreuten, hatte der Zwerg hierzulande auch in zweiter Auflage höchstens 60 kW/82 PS unter der Haube. Stattdessen gewann er mit einem Welpenblick die Herzen von Frauen und jungen Autofahrern. Tatsächlich hatte der Micra-Gesamtverantwortliche Tokuichiro Hosaka bei der Konzeption des K11 einen Hundewelpen vor Augen, wie er später erläuterte.

Wieselflink – und sicher soll er sein
Niedlich und wieselflink wie ein Jungtier sollte der Neue sein – und sicher. So schützte der im britischen Sunderland gebaute Japaner seine Passagiere als einer der ersten Minis mit Seitenaufprallschutz, Gurtstraffern, ABS und Airbags. Vorsprung in der virtuellen Welt zeigte Micra Nummer zwei ebenfalls: Als erstes Auto wurde er in der Edition „The Muji Car 1000“ ausschließlich online vermarktet.
„Micramorphose“
„Sprechen Sie Micra?“, hieß es 2002 in der Werbekampagne zum Start der dritten Generation (K12). Eine originelle Kunstsprache machte aus dem modernen, aber erneut retro-inspiriertem Micra-Design kurz „modtro“. „Simpelligent“ stand für einfache wie clevere Lösungen, etwa das schlüssellose Zugangssystem. Übrigens schrieb dieser Micra Modegeschichte als bei „Micramorphose“-Partys in Paris von Couturiers gestaltete Unikate um den Triumphbogen zirkulierten. Bis 2010 liefen allein in Europa fast eine Million Micra (K12) vom Band, nur das vom Karosseriespezialisten Karmann realisierte Coupé-Cabrio Micra C+C floppte.
Die freundlichen Formen überzeugten vor allem Frauen
Ganz anders der vierte Micra (K13), der sich ab 2010 in rund 160 Ländern bestens verkaufte. Seine rundlich-freundlichen Formen überzeugten vor allem Frauen. Im französischen Flins, dem ältesten bis heute in Betrieb befindlichen Renault-Werk, entsteht dagegen bis jetzt Micra Nummer fünf (K14) – aber der Nachfolger scharrt bereits mit den elektrisch angetriebenen Rädern. Entwickelt auf einer Nissan-Plattform soll der sechste Micra erneut bei Nissan-Partner Renault gebaut werden und mit elektrifizierendem Charme punkten.
Als Oldtimer noch unterbewertet
Als Sammelobjekt taugen die frühen Micra-Generationen übrigens vorerst nicht, erläutert Expertin Aleksandra Lippert von der Oldtimer-Bewertungsorganisation Classic Analytics: „Obwohl der wirtschaftliche und schicke Micra aus dem Stadtbild der 80er und 90er Jahre nicht wegzudenken ist, ist er mittlerweile fast ausgestorben und selbst in Youngtimerkreisen nicht übermäßig gesucht. Wenn er mal auftaucht, dann kosten selbst Top-Exemplare maximal 3.000 Euro.“